Godspeed Bd. 2 - Die Suche
auch nicht geschossen. Vielleicht würde Victria dann noch leben.
»Ich musste auf ihn schießen«, sage ich und hoffe nur, dass ich mich selbst ebenfalls davon überzeugen kann.
Er nickt nochmals. Ich kann nicht erkennen, ob er meine Worte anzweifelt oder nicht. Gibt er mir die Schuld für Victrias Tod?
»Wie schlimm ist es?«, fragt er und deutet mit einem Kopfnicken auf meinen Arm.
»Bist du auch verletzt?«, fragt Kit und schaut von Doc auf, dessen Wunde sie gerade mit einem Schaum besprüht. Der Schaum verfärbt sich rosa und soll die Wunde desinfizieren. Kit beginnt, Docs Bein zu verbinden.
»Mir geht’s gut«, beteuere ich.
»Sie ist angeschossen worden«, sagt Junior. »In den Arm.«
Er nimmt mir das zweite gelbe Pflaster ab und geht damit zu Bartie. Barties Augen sind die ganze Zeit auf Victria gerichtet, während er aus seinem Phydusrausch erwacht. Als er wieder ganz bei sich ist, versucht er, etwas zu sagen, bekommt aber kein Wort heraus. Er stürzt auf Victria zu, aber Junior fängt ihn ab, und dann liegen sich die beiden in den Armen und jede Rivalität ist vergessen.
»Hier«, sagt Kit.
Ich zucke erschrocken zusammen – ich habe gar nicht gemerkt, dass sie mit Doc fertig ist. Kit schneidet den Ärmel meiner Tunika auf und säubert die Wunde mit dem Desinfektionsschaum.
»Ist es schlimm?«, fragt Junior.
Kit reißt ein blassrotes Pflaster auf.
»Nein«, sage ich sofort.
»Es ist gegen die Schmerzen.«
»Keine Pflaster.«
Sie zuckt mit den Schultern und fängt an, meinen Arm zu verbinden. Die Blutung hat noch nicht ganz aufgehört, aber sie ist nicht mehr so stark – wahrscheinlich muss die Wunde nicht einmal genäht werden. Es war Victria, die die volle Wucht der Kugel abbekommen hat.
»Komm mit«, sagt Junior zu Bartie.
»Wohin geht ihr?«, will ich wissen.
»Wir schicken Victria zu den Sternen«, sagt Bartie.
»Lasst mich helfen.« Kit zieht die Bandage an meinem Arm stramm und ich zische vor Schmerz durch die Zähne.
Bartie nimmt Victria an den Schultern und Junior packt sie an ihren Füßen. »Das schaffen wir auch allein, Amy.« Juniors Stimme ist freundlich und sein Blick bittet mich um Verständnis. Bartie und Junior wollen sich gemeinsam von ihr verabschieden. Sie wollen Victria so in Erinnerung behalten, wie sie war, bevor Orion eingefroren wurde und sie unter ihrer Liebe zu ihm zerbrach. Bevor ich aufgetaut wurde.
Schweigend tragen die beiden den Körper ihrer Freundin zur Tür hinaus und zur Außenluke. Es bleibt nur ein Blutfleck auf dem Boden von ihr übrig.
69
Junior
Bartie wirft die Luke zu und ich gebe den Code ein. Wir beide stehen am Fenster und sehen zu, wie unsere Jugendfreundin zu den Sternen geht.
Durch das Bullauge sehen wir Victrias Körper davonfliegen. Der Sog des Vakuums zieht sie rückwärts hinaus, das lange schwarze Haar weht ihr vors Gesicht, und ihre Arme und Beine sind nach uns ausgestreckt, während sie weiter und weiter weggetrieben wird.
Und dann ist sie fort.
Kit kommt, als sich die Außenluke wieder schließt. Doc – an dessen Hals noch das grüne Pflaster klebt – humpelt neben ihr her. Kit versucht, ihn zu stützen, aber er ist viel größer als sie.
»Lass mich helfen«, sagt Bartie und übernimmt Kits Platz unter Docs Arm. Seine Stimme ist ganz rau von den Tränen, die er nicht vergossen hat. Als sich unsere Blicke treffen, erkenne ich, dass alles, was in den letzten drei Monaten passiert ist, von den Ereignissen der letzten dreißig Minuten ausgelöscht wurde. Wir sind wieder Freunde.
»Pass auf, dass das Pflaster draufbleibt«, sage ich und Bartie nickt.
Kit und Bartie führen Doc zur Luke. Ich überlege, sie zu unterstützen – es wird schwierig werden, ihn die Leiter hochzuschaffen –, aber ich will Doc nicht helfen. Ich will ihn nie wieder sehen.
Ich kehre zurück ins Genlabor. Amy steht mit ihrem dick bandagierten Arm vor Orions gefrorenem Gesicht.
Es ist schwierig, in meinem Kopf die Erinnerungen unter dem Einfluss von Phydus zu sortieren. Aber eines weiß ich: Doc hat Marae und die anderen umgebracht, weil ich als Anführer nicht so gut bin, wie Orion es gewesen wäre.
Amy hat gesagt, dass Orion einen Plan für alles hatte, und allmählich glaube ich, dass ich ebenfalls einen Plan haben müsste, denn ich habe keine Ahnung, was ich jetzt tun soll.
»Du hast die Drähte behalten«, sagt Amy, als ich neben sie trete. »Die Drähte aus der Phyduspumpe. Du hattest sie die ganze Zeit. Und du bist schnurstracks zur
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