Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
zu ergründen. Wahrscheinlich wäre sie überaus konsterniert über die Kontradiktion zwischen der Rahmenbotschaft (,,Ich bin eine Botschaft — entziffere mich!“) — und der chaotischen inneren Struktur. Es gibt in diesem Stück von Cage wenig innere „Ballungen“, an die man sich halten könnte, wenig Muster, die den Entzifferer leiten könnten. Im Stück von Bach jedoch kann man sich an viel halten — an Muster, Muster von Mustern usw. Wir können nicht wissen, ob solche Muster universellen Anklang finden. Wir wissen nicht genug über das Wesen der Intelligenz, der Gefühle oder der Musik, um sagen zu können, ob die innere Logik eines Stücks von Bach so universell zwingend ist, daß sein Bedeutungsgehalt über Galaxien hinweg gleichbliebe.
Indessen ist das Problem hier nicht, ob Bach im besonderen über genügend innere Logik verfügt; vielmehr ist das Problem, ob jede Botschaft an sich genügend zwingende innere Logik besitzt, daß ihr Kontext automatisch wiederhergestellt wird, wenn Intelligenz eines genügend hohen Grades mit ihr in Verbindung kommt. Wenn eine Botschaft tatsächlich diese Eigenschaft — den Kontext wiederherstellen zu können aufweist, dann ist es wohl vernünftig, die Bedeutung dieser Botschaft als eine inhärente Eigenschaft zu betrachten.
Die heroischen Entschlüsseler
Ein weiteres aufschlußreiches Beispiel für diese Vorstellungen ist die Entschlüsselung alter, in unbekannter Sprache und unbekannten Alphabeten verfaßter Texte. Wir fühlen intuitiv, daß diesen Texten tatsächlich Information inhärent ist, gleichgültig ob es uns gelingt, sie aufzudecken oder nicht. Das Gefühl ist so stark wie der Glaube, daß eine chinesisch gedruckte Zeitung inhärente Bedeutung hat, selbst wenn wir keine Ahnung vom Chinesischen haben. Wann einmal die Schrift oder die Sprache eines
Abb. 39 . Der Rosettastein [mit freundlicher Genehmigung des British Museum].
Texts geknackt ist, dann fragt niemand, wo die Bedeutung zu finden sei: natürlich im Text, nicht in der Entschlüsselungsmethode — genauso wie die Musik in der Platte, nicht im Plattenspieler sitzt. Eine der Methoden, durch die wir Entschlüsselungsmechanismen identifizieren, beruht auf der Tatsache, daß sie der Bedeutung der Zeichen oder Gegenstände, die sie als Input verwenden, nichts hinzufügen; sie enthüllen lediglich die diesen Zeichen oder Gegenständen innewohnende Bedeutung. EineMusikbox ist kein Entschlüsselungsmechanismus, weil sie keine zu ihren Inputsymbolen zugehörige Bedeutung enthüllt; im Gegenteil, sie liefert eine Bedeutung, die in ihr selbst verborgen ist.
Nun kann die Entschlüsselung eines alten Textes jahrzehntelange Arbeit verschiedener rivalisierender Forschergruppen bedingen, die auf das in Bibliotheken auf der ganzen Welt vorhandene Wissen zurückgreifen können ... Liefert nicht auch dieser Prozeß zusätzliche Informationen? Wie intrinsisch ist die Bedeutung eines Textes bloß, wenn solche Mammutanstrengungen nötig sind, um die Entschlüsselungsregeln ausfindig zu machen? Hat man Bedeutung in den Text hineingetragen, oder war sie bereits vorhanden? Meine Intuition sagt mir, daß die Bedeutung immer schon dort gewesen ist, und daß, trotz der Mühsal des Herausholungsprozesses, nichts herausgeholt wurde, was nicht von Anfang an im Text war. Diese intuitive Überzeugung resultiert hauptsächlich aus einer Tatsache: Ich habe das Gefühl, daß das Ergebnis unvermeidlich war, daß, wäre der Text nicht von dieser Forschergruppe zu diesem Zeitpunkt entschlüsselt worden, dann von jener Gruppe zu jenem Zeitpunkt — und es wäre das Gleiche dabei herausgekommen. Das ist der Grund, warum die Bedeutung ein Teil des Textes selber ist; er wirkt auf die Intelligenz auf vorhersagbare Weise ein. Allgemein kann man sagen, Bedeutung ist Teil eines Objektes insofern, als sie auf Intelligenz auf vorhersagbare Weise einwirkt.
Abb. 39 zeigt den Rosetta-Stein, eine der wertvollsten aller historischen Entdeckungen. Er bildete den Schlüssel zur Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen, denn er enthält Paralleltexte in drei alten Schriften: Hieroglyphen, demotische Schrift und Griechisch. Die Inschrift auf dieser Basaltstele wurde erstmals im Jahre 1821 von Jean François Champollion, dem „Vater der Ägyptologie“ entschlüsselt; es handelt sich um einen Erlaß der in Memphis versammelten Priester zugunsten von Ptolemäus V. Epiphanes.
Jede Botschaft hat drei Schichten
Bei diesen Beispielen für die
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