Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
geometrische Form der erste Hinweis, daß hier „etwas Komisches“ vorliegt. Der nächste Hinweis ist der, daß sie mit eher mikroskopischen Maßstäben gemessen, aus einer sehr langen, spiralförmig angeordneten aperiodischen Folge von Mustern besteht. Wickelten wir diese Spirale ab, so hätten wir eine riesige, etwa 600 Meter lange Folge von winzigen Symbolen. Das unterscheidet sich gar nicht sehr von einem DNS-Molekül, dessen Symbole, einem dürftigen „Alphabet“ von vier verschiedenen chemischen Basen entnommen, in einer eindimensionalen Folge angeordnet und dann in einer Helix aufgerollt sind. Doch bevor Avery den Zusammenhang zwischen Genen und DNS nachgewiesen hatte, sagte der Physiker Erwin Schrödinger in seinem einflußreichen Buch Was ist Leben? aus rein theoretischen Gründen voraus, daß die genetische Information in „aperiodischen Kristallen“ gespeichert sein müsse. Tatsächlich sind Bücher selbst in übersichtlicher geometrischer Form enthaltene aperiodische Kristalle. Diese Beispiele legen den Schluß nahe, daß wenn ein aperiodisches Kristall, in eine sehr regelmäßige geometrische Struktur „verpackt“, aufgefunden wird, eine innere Botschaft lauern kann. (Ich behaupte nicht, daß das eine vollständige Beschreibung von Rahmenbotschaften sei; Tatsache ist jedoch, daß viele gewöhnliche Botschaften Rahmenbotschaften dieser Art besitzen. Einige gute Beispiele zeigt Abb. 40.)
Abb. 40 . Eine Schriften-Collage. Links oben eine noch nicht entzifferte Boustrophedon-Schrift von den Osterinseln. Jede zweite Zelle steht auf dem Kopf. Die Zeichen sind auf hölzernen Tafeln (ca. 10x 88 cm) eingekerbt. Weiter (Im Uhrzeigersinn): vertikal geschriebene mongolische Schrift; oben heutiges Mongolisch, darunter ein Dokument aus dem Jahre 1314. Dann ein Gedicht in Bengali von Rabindranath Tagore (unten rechts). Es folgt eine Schlagzeile aus einer Zeitung in Malayälam (West-Kerala, Südindien), darüber die elegant geschwungene Tamil-Schrift (Ost-Kerala). Die kleinste Schrift ist ein Fragment eines Märchens in Bugi (Celebes, Indonesien). In der Mitte ein Abschnitt in der Thai-Sprache und darüber ein Manuskript in Runen aus dem 14. Jahrhundert (ein Gesetz aus Scania, Südschweden). Schließlich habe ich links noch ein Stück aus den Gesetzen des Hammurabi (assyrische Keilschrift) eingekeilt. Als Außenseiter empfinde ich es als großes Mysterium, wenn ich darüber nachdenke, wie die Bedeutung in den seltsamen Kurven und Winkeln dieser schönen aperiodischen Kristalle verborgen liegt. In der Form ist Inhalt. [Aus: Hans Jensen, Sign, Symbol, and Script, New York 1969, S. 89 (Keilschrift), S. 356 (Osterinsel), S. 386, 417 (mongolisch), 5. 552 (Runen); aus: Kenneth Katzner, The Languages of the World, New York 1975, S. 190 (Bengali), S. 237 (Bugi); aus: I. A. Richards und Christine Gibson, English Through Pictures, New York 1960, S. 73 (Tamil), S. 82 (Thai)“
Sprachen für die drei Ebenen
Ganz klar zu erkennen sind die drei Ebenen im Falle einer an Land geschwemmten Flaschenpost. Die erste Ebene, die Rahmenbotschaft, findet man, wenn man die Flasche aufhebt und erkennt, daß sie verschlossen ist und ein trockenes Stück Papier enthält. Auch ohne daß wir eine Schrift sehen, erkennen wir diese Art von Artefakt als einen Informationsträger, und an diesem Punkt braucht es schon einen außerordentlichen — beinahe unmenschlichen — Mangel an Neugier, um die Flasche fallen und es dabei bewenden zu lassen. Sodann öffnet man die Flasche und schaut sich die Zeichen auf dem Papier an. Vielleicht sind sie japanisch; das läßt sich feststellen, auch wenn man nichts von der inneren Botschaft versteht — es kommt lediglich auf das Erkennen der Schriftzeichen an. Die äußere Botschaft kann als deutscher Satz wiedergegeben werden: „Ich bin japanisch.“ Wenn man das einmal erkannt hat, kann man zur inneren Botschaft vorstoßen, und die kann ein Hilfeschrei, ein Haiku-Gedicht, eine Liebesklage sein ...
Nutzlos wäre es, in der inneren Botschaft eine Übersetzung des Satzes „Diese Botschaft ist japanisch“ einzuschließen, da nur ein des Japanischen Kundiger sie lesen könnte. Und bevor er sie läse, müßte er die Tatsache erkennen, daß er sie lesen kann, weil sie japanisch ist. Man könnte versuchen, sich herauszuwinden, indem man Übersetzungen der Aussage „Diese Botschaft ist japanisch“ in vielen verschiedenen Sprachen einschlösse. Das würde in einem praktischen Sinn weiterhelfen, aber
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