Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
M. C. Escher. Man betrachte Tag und Nacht ( Abb. 49 ), ein Meisterwerk „positiver und negativer Durchdringung“ (in Mumons Worten). Man könnte fragen: „Sind das wirklich Vögel, oder sind es wirklich Felder? Ist es tatsächlich Nacht oder Tag?“ Und doch wissen wir alle, daß diese Fragen am Wesentlichen vorbeigehen. Das Bild versucht, wie ein Zen-Kōan, dem Denken diese Logik auszutreiben. Escher hat auch seinen Spaß daran, kontradiktorische Bilder zu schaffen, wie etwa Andere Welt ( Abb. 48 ), Bilder, die mit der Wirklichkeit und der Unwirklichkeit spielen, wie Zen das tut. Sollte man Escher ernst nehmen? Sollte man Zen ernst nehmen?
In Tautropfen ( Abb. 47 ) findet sich eine delikate, Haiku-ähnliche Studie von Spiegelungen; und ferner gibt es zwei stille Bilder des Mondes, der sich im stillen Wasser spiegelt: Pfütze (Abb. 51) und Gekräuseltes Wasser (Abb. 52). Der sich spiegelnde Mond ist ein Motiv, das in mehreren Kōans auftaucht. Zum Beispiel: 11
Abb. 52 . Gekräuseltes Wasser , von M. C. Escher (Linolschnitt, 1950).
Chiyono studierte viele Jahre Zen unter Bukkō von Engaku. Doch konnte sie die Früchte der Meditation nicht ernten. Schließlich trug sie in einer Mondnacht in einem alten hölzernen Eimer, der mit Bambus zusammengebunden war, Wasser. Der Bambus riß, und der Boden fiel aus dem Eimer heraus. In diesem Augenblick war sie befreit. Chiyono sagte: „Kein Wasser mehr im Eimer, kein Mond mehr im Wasser.“
Drei Welten: ein Bild von Escher ( Abb. 46 ) und das Thema eines Zen-Kōans: 12
Ein Mönch fragte Gantō: „Wenn die drei Welten mich bedrohen, was soll ich tun?“ Gantō antwortete: „Setz dich.“ „Ich verstehe nicht“, sagte der Mönch. Gantō sagte: „Hebe den Berg auf und bringe ihn mir. Dann werde ich es dir sagen.“
Hemiole und Escher
In Verbum ( Abb. 149 ) werden Gegensätze auf verschiedenen Ebenen zu Einheiten gruppiert. Wenn wir einen Rundgang tun, erkennen wir nur allmähliche Übergänge von schwarzen Vögeln zu weißen Vögeln zu schwarzen Fischen zu weißen Fischen zu
Abb. 53 . Drei Kugeln , von M. C. Escher (Lithographie, 1946).
schwarzen Fröschen zu weißen Fröschen zu schwarzen Vögeln ... Nach sechs Schritten sind wir zum Anfangspunkt zurückgekehrt: Ist das eine Versöhnung der Dichotomie von Schwarz und Weiß? Oder der Trichotomie von Vögeln, Fischen und Fröschen? Oder ist es eine sechsfache Einheit, die aus der Geradheit von 2 und der Ungeradheit von 3 entstand? In der Musik bilden sechs Noten gleicher Länge eine rhythmische Ambiguität — sind es zwei Gruppen zu 3 oder drei Gruppen zu 2? Diese Ambiguität hat einen Namen: Hemiole. Chopin war ein Meister der Hemiole, siehe seinen Walzer op. 42 oder seine Etüde op. 25, Nr. 2. Bei Bach findet man das Tempo di Menuetto der Klavier-Partita Nr. 5, oder das kaum zu fassende Finale der ersten Sonate für Violine solo in g-moll.
In dem Maße, in dem man in Eschers Verbum nach innen auf den Mittelpunkt zugleitet, verwischen sich allmählich die Unterschiede, so daß am Ende nicht drei, nicht zwei, sondern nur eine einzige Essenz bleibt: „V ERBUM “, in strahlendem Glanze — vielleicht ein Symbol der Erleuchtung. Ironischerweise ist „Verbum“ ja nicht nur ein Wort, sondern bedeutet auch „Wort“ — sicher ein Begriff, der sich nicht so leicht mit Zen in Einklang bringen läßt. Andererseits ist „Verbum“ das einzige Wort im Bild. Und der Zen-Meister Tōzan hat einmal gesagt: „Der vollständige Tripitaka läßt sich mit einem Schriftzeichen ausdrücken.“ („Tripitaka“ heißt „drei Körbe“ und meint den vollständigen Urtext der buddhistischen Schrift.) Was für eine Art Entschlüsselungsmechanismus, frage ich mich, wäre nötig, um die drei Körbe aus einem einzigen Schriftzeichen herauszuholen? Vielleicht einer mit zwei Hemisphären.
Indras Netz
Schließlich betrachte man Drei Kugeln II (Abb. 53). Hier scheint jeder Teil der Welt jeden anderen Teil zu enthalten und in jedem anderen Teil enthalten zu sein. Der Schreibtisch spiegelt die auf ihm liegenden Kugeln; die Kugeln spiegeln sich gegenseitig und außerdem den Schreibtisch, die Zeichnung von sich selbst und den Künstler, der sie zeichnete. Die endlosen Verbindungen aller Dinge werden hier nur angedeutet, doch genügt diese Andeutung. Die buddhistische Allegorie von „Indras Netz“ spricht von einem endlosen Netz von Fäden im ganzen Universum, wobei die waagrechten durch den Raum, die senkrechten durch die Zeit laufen.
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