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Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Titel: Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas R. Hofstadter
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eingeht, läßt sich gut anhand des Wissensfortschritts illustrieren, wie man einen Computer so programmieren kann, daß er gut Schach spielt. Während der fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre war man der Ansicht, daß der Trick darin läge, zu bewirken, daß die Maschine weiter in das sich verzweigende Netzwerk möglicher Zugfolgen „vorausschauen“ könne, als es irgend einem Schachmeister möglich ist. Als man aber mit der Zeit dieses Ziel erreichte, hatte das keine schlagartige Verbesserung des Computer-Schachs und keine Überlegenheit über die menschlichen Fachleute zur Folge. In Wirklichkeit kann ein menschlicher Experte ruhig darauf vertrauen, daß er die besten Schachprogramme, die es heutzutage gibt, überlegen schlagen kann.
    Der Grund dafür war schon vor vielen Jahren veröffentlicht worden. In den vierziger Jahren führte der holländische Psychologe Adriaan de Groot Untersuchungen durch, wie Schach-Anfänger und Schachmeister eine gegebene Stellung im Schach wahrnehmen. Auf den einfachsten Nenner gebracht, implizieren seine Ergebnisse, daß die Meister die Aufstellung der Steine in Ballungen wahrnehmen. Es gibt eine Beschreibung auf höherer Stufe als einfach „e5, schwarzer Turm d6“, und irgendwie stellt sich der Meister ein solches Bild des Brettes vor. Bewiesen wurde das durch die große Geschwindigkeit, mit der ein Meister die Stellung in einem Spiel reproduzieren kann, verglichen mit der schwerfälligen Rekonstruktion des Anfängers, nachdem beide fünf Sekunden lang aufs Brett geblickt hatten. Außerordentlich aufschlußreich war die Tatsache, daß die von den Meistern begangenen Fehler darin bestanden, daß sie ganze Gruppen von Steinen an den falschen Platz stellten, was das Spiel strategisch fast unverändert ließ, in den Augen der Anfänger aber ein völlig anderes war. Endgültig überzeugend war die Durchführung desselben Experiments, aber mit Zufallsverteilung der Figuren auf dem Brett anstelle einer tatsächlich gespielten Partie. Die Meister waren, wie man herausfand, bei der Rekonstruktion solcher Zufallsstellungen einfach nicht besser als die Anfänger.
    Daraus kann man schließen, daß im normalen Schach gewisse Stellungstypen wiederkehren — gewisse Muster — und auf diese Muster hoher Stufe spricht der Meister an. Er denkt auf einer anderen Stufe als der Anfänger; sein Begriffsraster ist anders. Fast jedermann ist überrascht, daß die Meister selten weiter vorausschauen als die Anfänger — und zudem prüft der Meister meistens nur eine Handvoll möglicher Züge! Der Trick ist der, daß seine Art, das Brett wahrzunehmen, wie ein Filter wirkt. Er sieht, wörtlich genommen, keine schlechten Züge, wenn er eine Schachstellung betrachtet, genau so wenig, wie ein Schachamateur unzulässige Züge sieht, wenn er eine Schachstellung betrachtet. Wer auch nur ein bißchen Schach gespielt hat, hat seine Wahrnehmung so organisiert, daß Turmzüge in der Diagonale, das Schlagen von Bauern auf dem vor ihnen gelegenen Feld usw. ihnen gar nicht erst einfallen. In ähnlicher Weise haben Spieler auf Meister-Ebene für die Art und Weise, wie sie das Brett betrachten, höhere Organisationsstufen aufgebaut; folglich kommen ihnen schlechte Züge so wenig in den Sinn wie den meisten Leuten unzulässige Züge. Man könnte das implizites Stutzen des riesigen verästelten Baums von Möglichkeiten nennen. Im Gegensatz dazu würde explizites Stutzen bedeuten, daß man über einen Zugnachdenkt und sich nach oberflächlicher Prüfung entscheidet, ihn nicht weiter zu verfolgen.
    Diese Unterscheidung läßt sich genau so gut auf andere intellektuelle Tätigkeiten anwenden, zum Beispiel die Mathematik. In der Regel erfindet und erprobt ein begabter Mathematiker nicht die verschiedenen falschen Wege zu dem erwünschten S ATZ , wie das weniger begabte Menschen wohl täten, vielmehr „riecht“ er die erfolgversprechenden Pfade und schlägt sie sofort ein.
    Computer-Schachprogrammen, die auf Vorausschau basieren, hatte man nicht beigebracht, auf einer höheren Stufe zu denken; die angewandte Strategie war einfach die, daß man mit roher Gewalt Vorausschau betrieb und hoffte, Widerstände aller Art niederzuschmettern. Aber es funktionierte eben nicht. Vielleicht wird eines Tages ein Vorausschau-Programm mit genügend roher Gewalt den besten menschlichen Spieler tatsächlich schlagen, das aber wird nur ein geringer intellektueller Fortschritt sein verglichen mit der Erkenntnis, daß Intelligenz

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