Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
des Problems mit TNT+G ω . Hat man einmal alle G's in wohldefinierter Art und Weise in TNT eingefügt, dann entdeckt man, daß es ein anderes G, ein nicht vorhergesehenes G gibt, das man mit dem Axiomenschema nicht eingefangen hat. Und im Falle der TC-Schlacht innerhalb des Contrakrostipunktus: sobald die „Architektur“ eines Plattenspielers festgelegt worden ist, kann dieser in Stücke zertrümmert werden.
Was ist also zu tun? Ein Ende ist nicht in Sicht. Es scheint, daß TNT, auch wenn man es bis ans Ende aller Zeiten erweitert, nicht vollständig gemacht werden kann. Daher kann man sagen, daß TNT an grundsätzlicher Unvollständigkeit leidet, weil die Unvollständigkeit einen Teil von TNT selbst bildet; es ist ein wesentlicher Teil von TNT, und kann auf keine Weise ausgeschaltet werden, ob schlicht naiv oder ausgeklügelt. Zudem wird dieses Problem in jeder formalen Version der Zahlentheorie spuken, sei es eine Erweiterung, eine Modifikation oder eine Alternative zu TNT. Der Kernpunkt ist der: Die Möglichkeit, in einem gegebenen System vermittels Gödels selbstbezüglicher Methode eine unentscheidbare Kette zu konstruieren, hängt von drei grundlegenden Bedingungen ab:
1)
Das System muß reich genug sein, daß alle Aussagen über Zahlen, ob wahr oder falsch, in ihm ausgedrückt werden können. (Ist das nicht möglich, dann heißt das, daß das System von Anfang an zu schwach ist, um als Rivale von TNT auftreten zu können, da es ja nicht einmal zahlentheoretische Ideen ausdrücken kann, die TNT sehr wohl beherrscht. In der Metapher des Contrakrostipunktus: es ist, als hätte man nicht einen Plattenspieler, sondern einen Kühlschrank oder einen Gegenstand anderer Art.)
2)
Alle allgemeinen rekursiven Beziehungen sollten durch Formeln in diesem System repräsentiert sein. (Geschieht das nicht, so heißt das, daß das System nicht in einem S ATZ eine allgemeine rekursive Wahrheit einfängt, was nur als ein kläglicher Mißerfolg aufgefaßt werden kann, wenn es versucht, die wahren Aussagen der Zahlentheorie zu erzeugen. In der Metapher des Contrakrostipunktus ist das so, als habe man zwar einen Plattenspieler, aber nur einen mit niedriger Wiedergabequalität.)
3)
Die Axiome und typographischen, durch die Regeln definierten Muster, müssen durch ein endliches Entscheidungsverfahren feststellbar sein. (Versagen in diesem Fall bedeutet, daß es keine Methode gibt, gültige Ableitungen von dem System von ungültigen zu unterscheiden — damit ist das „formale System“ also doch nicht formal, und es ist nicht einmal wohldefiniert. In der Metapher des Contrakrostipunktus ist das ein Plattenspieler, der erst teilweise entworfen auf dem Reißbrett existiert.)
Sind diese drei Bedingungen erfüllt, so gewährleistet das, daß jedes widerspruchsfreie System unvollständig ist, weil Gödels Konstruktion anwendbar ist.
Das Faszinierende ist, daß jedes derartige System sich sein eigenes Grab schaufelt; der Reichtum des Systems führt seinen Sturz herbei. Im wesentlichen kommt der Sturz daher, daß das System stark genug ist, um selbstbezügliche Aussagen zu enthalten. Inder Physik kennt man den Begriff einer „kritischen Masse“ eines spaltbaren Elements wie etwa Uran. In einem festen Klumpen dieser Substanz geschieht weiter nichts, solange die Masse noch nicht kritisch ist. Jenseits der kritischen Masse jedoch wird sich in dem Klumpen eine Kettenreaktion vollziehen und ihn explodieren lassen. Anscheinend gibt es in formalen Systemen einen analogen kritischen Punkt: Unterhalb dieses Punktes ist ein System „harmlos“ und kommt der formalen Definition arithmetischer Wahrheit nicht einmal nahe. Aber jenseits des kritischen Punktes erhält das System plötzlich die Fähigkeit zur Selbstbezüglichkeit und verdammt sich damit selbst zur Unvollständigkeit. Die Schwelle scheint ungefähr dort zu liegen, wo ein System die drei oben angeführten Eigenschaften erreicht. Wenn diese Fähigkeit zur Selbstbezüglichkeit erreicht ist, hat das System ein „maßgeschneidertes“ Loch; das Loch berücksichtigt die Eigenschaften des Systems und kehrt sie gegen das System.
Die Leidensgeschichte nach Lucas
Die verblüffende Wiederholbarkeit des Gödelschen Gedankenganges ist von verschiedenen Leuten — insbesondere von J. R. Lucas — als Geschütz aufgefahren worden, um zu zeigen, daß die menschliche Intelligenz eine schwer zu fassende und nicht in Worten auszudrückende Qualität besitzt, die bewirkt, daß sie für
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