Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
aber keine Methode bekannt, mit der jemand alle seine Intuitionen ans Tageslicht bringen kann; das beste, was man auf dem Wege der Introspektion tun kann, ist, sich vom „Gefühl“ oder der „Meta-Intuition“ — einer „Intuition über die eigene Intuition“ — leiten zu lassen und zu beschreiben suchen, was man glaubt, worum es sich bei Intuition überhaupt handelt. Das aber wird nur eine grobe Annäherung an die wirkliche Komplexität intuitiver Methoden ergeben. Deshalb ist es so gut wie sicher, daß Samuel nicht seine eigene Spielmethode in seinem Programm widergespiegelt hat. Der andere Grund, warum Samuels Programm nicht mit seinem eigenen Spiel verwechselt werden sollte, ist der, daß Samuel nicht so gut spielt wie sein Programm — es schlägt ihn. Das ist keineswegs eine Paradoxie, genau so wenig wie die Tatsache, daß ein auf die Berechnung von π programmierter Computer beim Ausspucken von Ziffern von π dem Programmierer überlegen ist.
Wann ist ein Programm originell?
Das Problem, daß ein Programm seinen Programmierer übertrifft, hängt mit der Frage der „Originalität“ bei AIzusammen. Wenn ein AI-Programm eine Idee oder eine Strategie in einem Spiel produziert, an die der Programmierer überhaupt nie gedacht hat — wem gebührt die Anerkennung? Es gibt verschiedene interessante Beispiele dafür, einige auf einer eher trivialen Ebene, einige auf einem ziemlich grundsätzlichen Niveau. Eines der berühmtesten Programme, geschrieben von E. Gelernter, dreht sich um das Finden von Beweisen von Sätzen in der euklidischen Geometrie. Eines Tages produzierte das Programm einen von Originalität geradezu funkelnden Beweis für einen der grundlegenden Sätze der elementaren euklidischen Geometrie — den sogenannten „pons asinorum“ oder die „Eselsbrücke“.
Der Satz besagt, daß die Basiswinkel eines gleichseitigen Dreiecks gleich sind. Der Standardbeweis erfordert die Konstruktion der Höhe, die das Dreieck in zwei symmetrischeHälften teilt. Die vom Programm gefundene elegante Methode (Abb. 114) machte von keinen Hilfslinien Gebrauch. Statt dessen betrachtet man das Dreieck und sein Spiegelbild als zwei verschiedene Dreiecke. Nachdem man ihre Kongruenz bewiesen hat, weist das Programm darauf hin, daß die beiden Basiswinkel in dieser Kongruenz einander gleich sind. Was zu beweisen war.
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Abb. 114 . Pons-Asinorum-Beweis (entdeckt von Pappus [ca. 300 v. Chr.]) und Gelernters Programm (ca. 1960 n. Chr.). Problem: Zu zeigen, daß die Basiswinkel eines gleichschenkligen Dreiecks einander gleich sind. Lösung: Da das Dreieck gleichschenklig ist, sind AP und AP' gleich lang. Deshalb sind die Dreiecke PAP' und P' AP kongruent, da seitengleich. Das impliziert, daß entsprechende Winkel gleich sind, insbesondere die beiden Basiswinkel.
Dieses Juwel von einem Beweis erfreute den Schöpfer des Programms und andere; einige sahen darin Anzeichen von Genie. Ohne diese Leistung schmälern zu wollen — in Wirklichkeit hat im Jahre 300 v. Chr. auch der Geometer Pappus diesen Beweis schon gefunden. Auf jeden Fall bleibt die Frage: „Wer ist der Urheber?“ Ist das intelligentes Verhalten? Oder schlummerte der Beweis tief im Innern des Menschen (Gelernter), und der Computer brachte ihn lediglich an die Oberfläche? Diese letztere Frage trifft den Kern. Wir können sie umkehren: Schlummerte der Beweis tief unten im Programm? Oder lag er nahe an der Oberfläche? Das heißt: Wie leicht läßt sich erkennen, warum ein Programm das tut, was es getan hat? Ist die Entdeckung eines einfachen Mechanismus oder einer einfachen Kombination von Mechanismen zuzuschreiben? Oder fand eine komplexe Wechselwirkung statt, die, wenn man sie erklärt bekommt, das ehrfürchtige Staunen darüber nicht verringert?
Vernünftigerweise kann man wohl sagen: Wenn die Leistung gewissen Operationen, die sich im Programm leicht aufzeigen lasen, zuzuschreiben ist, dann enthält das Programm einfache Ideen, die — wenn auch nicht allzu tief — im Geist des Programmierers verborgen waren. Wenn umgekehrt das Programm keine Auskunft darüber gibt, warum gerade diese Entdeckung produziert wurde, dann sollte man vielleicht damit beginnen, den „Geist“ des Programms von dem des Programmierers zu trennen. Der Mensch wird gepriesen, weil er das Programm erfunden hat, nicht aber dafür, daß er die vom Programm produzierten Gedanken in seinem Kopf hat. In solchen Fällen kann man den Menschen als „Meta-Autor“ bezeichnen —
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