Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
Abb. 139 ). In diesem Zusammenhang erwäge man das folgende Rätsel: Kann man irgendwie eine Zeichnung herstellen, die Wörter sowohl in der Figur wie auch im Hintergrund enthält?
Unterscheiden wir nun zwei Arten von Figuren: kursiv zeichenbare und rekursive. (Das sind übrigens von mir erfundene Ausdrücke — sie sind nicht allgemein gebräuchlich.) Eine kursiv zeichenbare Figur ist eine, deren Hintergrund lediglich ein zufälliges Nebenprodukt des zeichnerischen Vorgangs ist. Eine rekursive Figur ist eine, deren Hintergrund als eine selbständige Figur aufgefaßt werden kann. Im allgemeinen ist das vom Künstler beabsichtigt. Das „re“ in „rekursiv“ drückt aus, daß Vordergrund und Hintergrund kursiv zeichenbar sind — die Figur ist „doppelt kursiv“. Jede Grenze zwischen Figur und Hintergrund ist ein zweischneidiges Schwert. M. C. Escher war ein Meister rekursiver Figuren, siehe z. B. seine schöne rekursive Zeichnung von Vögeln (Abb. 16).
Abb. 16. Flächenfüllung mit Vögeln , von M C. Escher (aus einem Skizzenbuch, 1942).
Abb. 17 . F IGURE -F IGURE -Figur , von Scott E. Kim (1975).
Unsere Unterscheidung ist nicht so streng wie eine in der Mathematik, denn wer kann mit Sicherheit sagen, daß ein Hintergrund nicht auch eine Figur ist? Wenn man einmal darauf aufmerksam gemacht worden ist, ist fast jeder Hintergrund interessant. In diesem Sinn ist jede Figur rekursiv. Doch das ist es nicht, was ich mit diesem Ausdruck sagen wollte. Es besteht eine natürliche und intuitive Vorstellung davon, was erkennbare Formen sind. Sind Hintergrund wie auch Vordergrund erkennbare Formen? Wenn ja, dann ist das Bild rekursiv. Betrachtet man den Hintergrund der meisten Strichzeichnungen, findet man sie eher unerkennbar. Das beweist folgendes:
Es gibt erkennbare Formen, deren negativer Raum keine erkennbare Form darstellt.
In etwas mehr technischer Terminologie wird daraus:
Es gibt kursiv zeichenbare Figuren, die nicht rekursiv sind.
Scott Kims Lösung des obigen Problems, das ich seine F IGURE -F IGURE -Figur nenne, zeigt Abb. 17. Wenn Sie sowohl Schwarz wie Weiß betrachten, sehen Sie überall „F IGURE “, aber nirgends „G ROUND “ („H INTERGRUND “): Es handelt sich um ein Paradebeispiel für rekursive Figuren. In dieser geistreichen Zeichnung lassen sich die schwarzen Flächen auf zwei nicht äquivalente Arten charakterisieren:
1)
als der negative Raum der weißen Flächen;
2)
als abgeänderte Kopien der weißen Flächen (hervorgerufen durch Färbung und Verschiebung jeder einzelnen weißen Fläche).
(Im Sonderfall der F IGURE -F IGURE -Figur sind diese beiden Charakterisierungen äquivalent — aber in den meisten Schwarzweißbildern werden sie es nicht sein.) In Kapitel VIII, wenn wir unsere „Theoria Numerorum Typographica“ (TNT) aufstellen, werden wir uns von der Hoffnung leiten lassen, daß die Menge aller falschen Aussagen der Zahlentheorie auf zwei analoge Arten charakterisiert werden kann:
1)
als der negative Raum der Menge aller TNT-S ÄTZE ;
2)
als abgeänderte Kopien der Menge aller TNT-S ÄTZE (erzeugt durch die Verneinung jedes TNT-S ATZES ).
Aber diese Hoffnung wird zunichte werden, weil:
1)
innerhalb der Menge aller Nicht-S ÄTZE gewisse wahre S ÄTZE aufgefunden werden können;
2)
sich außerhalb der Menge aller negierten S ÄTZE gewisse falsche Aussagen finden lassen.
Wie und warum das geschieht, werden wir in Kapitel XIV sehen. Bis wir soweit sind, betrachte man die bildliche Darstellung des Sachverhalts (Abb. 18).
Abb. 18 . Dieses Diagramm der Beziehungen verschiedener Klassen von TNT-Ketten macht sehr vieles anschaulich. Der äußerste Rahmen stellt die Menge aller TNT-Ketten dar. Der zweitgrößte Rahmen stellt die Menge aller wohlgeformten TNT-Ketten dar. In diesem befindet sich die Menge aller Aussagen von TNT Und nun wird es interessant. Die Menge der S ÄTZE ist als ein Baum dargestellt, der sich aus einem Stamm entwickelt (der die Menge der Axiome darstellt). Das Baum-Symbol wurde gewählt wegen des rekursiven Wachstum-Musters, das es darstellt: Neue Zweige (S ÄTZE ) sprießen konstant aus den alten. Die fingerähnlichen Zweige erkunden die Ecken des sie umgebenden Bereichs (die Menge der Wahrheiten), können ihn aber nie völlig ausfüllen. Die Grenze zwischen der Menge der Wahrheiten und der Menge der Unwahrheiten soll das Bild einer beliebig mäandrierenden Küstenlinie vermitteln, die, gleichgültig von wie nah man sie betrachtet, immer noch feinere
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