Göring: Eine Karriere (German Edition)
»appeasement«, des Beschwichtigens und Einlenkens, endgültig gescheitert zu sein. Görings Albtraum drohte Realität zu werden. Am 28. September 1938, kurz vor Ende des Ultimatums, blaffte er Ribbentrop an: »Wenn’s zum Krieg kommt, dann bin ich derjenige, der dem deutschen Volk erzählt, dass Sie es in den Krieg getrieben haben.« Ribbentrop giftete zurück, er verbitte sich das. Zwei der höchsten Repräsentanten des Regimes beschimpften sich in Gegenwart Hitlers, so ein Augenzeuge, wie »zwei Primadonnen vor der Generalprobe«. Später sollte Göring behaupten, er habe dem »Führer« gesagt, dass er keinen Krieg wolle, weil er wisse, was Krieg bedeute. Wenn aber, fuhr Göring fort, der »Führer« den Befehl zum Marschieren geben sollte, »so werde ich mich im ersten führenden Flugzeug befinden«. Er werde freilich darauf bestehen, dass Herr von Ribbentrop neben ihm sitze, fügte er als Seitenhieb hinzu.
Als er nach der Besprechung in München aus dem Sitzungssaal kam, sagte er zu uns spontan: »Das ist der Friede.«
Karl Bodenschatz, Adjutant Görings, Aussage im Nürnberger Prozess
Die Nachgiebigkeit der anderen Mächte führte noch einmal dazu, dass sich Görings Verhandlungslinie durchsetzte. Kurz vor Ablauf des Ultimatums rief Mussolini in Berlin an, bot seine Vermittlung an und bat Hitler um Aufschub. Gleichzeitig signalisierten der britische und der französische Botschafter, dass ihre Regierungen die Forderung nach Abtretung der sudetendeutschen Gebiete zu akzeptieren bereit seien. Schon am nächsten Tag, so wurde vereinbart, sollten die Regierungschefs der vier Staaten sich in München zu einer Konferenz treffen. Umgehend entwarf Göring ein Papier über die Verhandlungsziele der Konferenz, das nach Rom weitergeleitet und von Mussolini in München als eigener, italienischer Vermittlungsvorschlag präsentiert wurde. Die Unterzeichnung des Münchner Abkommens am 30. September war danach nur noch Formsache. Die Tschechoslowakei wurde verpflichtet, die sudetendeutschen Gebiete bis zum 10. Oktober an Deutschland abzutreten. Noch einmal hatte die deutsche Politik der Erpressung, gepaart mit Säbelrasseln, zu einem gewaltlosen Sieg geführt. Noch einmal konnte sich Hitler im Gefolge der deutschen Truppen als Triumphator von den jubelnden Massen des Sudetenlandes feiern lassen. Der Sieg schloss die »revisionistische Phase« von Hitlers Außenpolitik ab. Ab jetzt würde er nicht mehr Deutsche »befreien«, sondern fremde Völker unterwerfen.
Für Göring wurde die Münchner Konferenz zum Pyrrhussieg. Zwar hatte er sein Ziel einer gewaltfreien Lösung à la Österreich durchgesetzt, doch der Preis war eine merkliche Abkühlung des Verhältnisses zu Hitler. Das Ende des tschechoslowakischen Staates war mit der Unterzeichnung des Münchner Abkommens zwar besiegelt, und Göring freute sich über diesen Erfolg. Hitler aber war verstimmt und bezichtigte seinen Paladin sogar der »Feigheit«. »Das nächste Mal werde ich so schnell handeln, dass mir die alten Weiber nicht dreinreden können«, murrte er hinter Görings Rücken. Der von ihm gewollte Krieg war aufgeschoben, und dafür machte er zu Recht auch Göring verantwortlich. In Hitler keimte der Verdacht, sein Gefolgsmann stehe nicht mehr so bedingungslos hinter seinem rücksichtslosen Raum- und Rassenprogramm wie der liebedienerische Außenminister. In der Tat verriet sich Göring in diesen Monaten, ungeachtet seiner brutalen Methoden, als Vertreter einer älteren, konventionelleren Tradition deutscher Großmachtpolitik, die das Ende des Kaiserreichs überdauert hatte. Er wollte Deutschland im Einklang mit England zur führenden Macht auf dem europäischen Kontinent machen und betrachtete vor allem den Südosten Europas als natürliche deutsche Hegemonialzone. Unausgesprochen blieb er damit noch im Rahmen des traditionellen, mittlerweile um die USA und Japan erweiterten, Mächtekonzertes, das Hitler durch die Errichtung eines von einem festen »Rassekern« beherrschten germanischen Großreichs ein für alle Mal sprengen wollte. Während für Hitler der eigentliche Eroberungszug erst begann, war er für Göring schon weitgehend abgeschlossen. Göring zauderte, das bereits Erreichte wieder aufs Spiel zu setzen. Im Unterschied zu Hitler genoss er den Frieden, der ihm ein Leben in ungehemmtem Luxus erlaubte. Er widersprach Hitler nicht, doch als treibende Kraft fiel er aus und folgte nur halbherzig. In den kommenden Monaten schlüpfte daher
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