Göring: Eine Karriere (German Edition)
Wütend fuhr er Kajetan Mühlmann, den Leiter der Stelle, an: »Sie bringen ja alles zum Führer, Herr Mühlmann, Sie können nur auf einem Pferd sitzen!« Um sicherzugehen, stieg Göring zuweilen in seinen Sonderzug, taxierte vor Ort die Beute in teilweise eigens für ihn zusammengestellten Ausstellungen und ließ die ausgewählten Stücke nach Carinhall, zur Burg Veldenstein oder nach Schloss Mauterndorf bringen.
»Von der Sammlerleidenschaft sehr stark erfasst«: Göring beim »Einkaufen« in französischen Kunstdepots
Ob in Paris oder in Amsterdam, ob in Belgien, in Italien, in der neutralen Schweiz oder im heimatlichen Deutschland – der »König des Schwarzmarktes«, wie Göring von Himmler spöttisch betitelt wurde, warf sein begehrliches Auge prinzipiell auf alles, was wertvoll und ohne eindeutigen Besitzer war, seien es nun Gobelins, Marmorplastiken, Alabastervasen, Sonnenuhren aus der Renaissance oder orientalische Waffen. Auch so manches Gemälde, das offiziell als »entartet« galt, konnte Görings Interesse wecken, solange es sich gegen andere Kunstwerke tauschen ließ. Sein besonderes Interesse galt der deutschen und niederländischen Malerei des 15. bis 17. Jahrhunderts, außerdem Bildern und Plastiken der italienischen Renaissance. Seine Gier schien unstillbar zu sein. Die Schlösser Mauterndorf und Veldenstein quollen über von erbeuteten Schätzen, und in Carinhall, wo bis zu vier Reihen wertvoller Gemälde übereinander hingen, mussten solche Kunstwerke aus Platzmangel in die Decke eingelassen werden. Bei Kriegsende hatte der Reichsmarschall in seiner Kunstsammlung 1375 Gemälde, 250 Skulpturen, 108 Tapisserien, 200 antike Möbel, 60 Perser- und französische Teppiche, 75 Glasfenster sowie 175 kunstgewerbliche Objekte zusammengerafft, deren Gesamtwert von Kunstexperten auf mehrere hundert Millionen Mark taxiert wurde. Ohne jegliche Gewissensbisse plante Göring, die besten Stücke aus seinen Beutezügen an seinem sechzigsten Geburtstag 1953 mit großer Geste dem Volk zu vermachen und in einer »Hermann-Göring-Galerie« in Carinhall öffentlich auszustellen. In der Kunst wenigstens wollte er nicht der »zweite Mann des Dritten Reiches« bleiben. Seine Sammlung sollte selbst das von Hitler geplante Kunstmuseum in Linz in den Schatten stellen.
Die Luftschlacht
Während aus Polen und Frankreich Züge voller geraubter Kunstgüter nach Deutschland rollten, sah Göring die Zeit gekommen, auch Großbritannien in die Knie zu zwingen. Der Oberbefehlshaber der Luftwaffe forderte von seinen Untergebenen nichts weniger als die völlige Zerstörung der Royal Air Force und der britischen Flugzeugindustrie. »Die Verteidigung Südenglands wird innerhalb von vier Tagen zusammengebrochen sein, die RAF innerhalb von vier Wochen. Wir können dem Führer die Garantie geben, dass eine Invasion Englands in einem Monat erfolgen kann«, verkündete er am 11. Juli 1940 mit der für ihn so typischen Vollmundigkeit. Solche Worte hörte Hitler gerne. Wenige Tage später hielt der Diktator vor dem Reichstag eine lange Rede, in der er England ein knappes und inakzeptables Friedensangebot machte, das die britische Regierung postwendend zurückwies. Jetzt gab Hitler Göring grünes Licht, seine Versprechungen in die Tat umzusetzen.
Oben: »Heute habe ich das Dröhnen der siegreichen deutschen Geschwader gehört«: Göring und sein Stab an der Kanalküste
Unten: »Den Engländern Bomben aufs Haupt werfen«: Deutsche Flugzeuge über London am 7. September 1940
Oben: »Hohe eigene Verluste«: Eine von den Briten abgeschossene deutsche Bomberbesatzung wird nach der Festnahme untersucht
Unten: »Ich will Meier heißen...«: Die ersten Bomben auf Berlin im Sommer 1940 wurden von der Bevölkerung noch wie Kuriositäten bestaunt
Am 31. Juli 1940 bestimmte Hitler – nach einigem Zögern – den 15. September als voraussichtlichen Termin für eine mögliche Invasion der britischen Insel, vorausgesetzt, die deutsche Luftwaffe hatte zuvor die Lufthoheit über Südengland erkämpft. Ob Hitler es wirklich ernst meinte oder ob er die Nerven der Engländer mit einer Scheinoperation strapazieren wollte, wird sich nie klären lassen. Bis heute halten viele Historiker das »Unternehmen Seelöwe« für einen groß angelegten Bluff. Ebenfalls am 31. Juli teilte Hitler seinen führenden Militärs mit, dass er die Zerschlagung der Sowjetunion plane, um Englands letzte Bündnishoffnung auf dem Kontinent zunichte zu machen.
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