Göring: Eine Karriere (German Edition)
durch einen riesigen Anbau ergänzt worden, an den sich ein Seitenflügel um einen neuen zweiten Innenhof anschloss. Höhepunkt der neuen Gebäude war ein Speisezimmer mit einem riesigen, zehn mal fünf Meter großen Panoramafenster, das – wie das Fenster von Hitlers »Berghof« – auf Knopfdruck vollständig im Boden versenkt werden konnte und als »größtes Fenster Europas« galt. Für die kahlen Wände der neuen Gebäude hatte Göring bereits genaue Vorstellungen. Hier sollte nach seinem Willen die größte private Kunstsammlung der Welt ihren Platz finden: seine eigene.
Schon früh war Görings Interesse für Kunst erwacht. Von einer Italienreise im Jahr 1911 war der Achtzehnjährige voller Begeisterung für die Werke Leonardo da Vincis, Peter Paul Rubens’ und Raffaels zurückgekehrt. Von da an hatte er nicht aufgehört, Kunst auch zu sammeln, soweit dies seine bescheidenen Mittel zuließen. Die Machtergreifung veränderte auch in diesem Punkt alles. Bedenkenlos benutzte er von nun an staatliche Etats und private »Spenden«, um sich die Werke der Meister anzueignen, die er bis dahin nur bewundert hatte. Sein unerschöpfbarer Sammeldrang machte selbst vor den staatlichen Museen nicht Halt, deren Direktoren er zuweilen »überredete«, ihm bedeutende Kunstwerke für seine zahlreichen Diensträume und Wohnsitze »auszuleihen«. Auch als Kunstsammler rangierte er bald als »zweiter Mann des Dritten Reichs« nur noch hinter Hitler. Während dieser jedoch Kunstwerke meistenteils für das in seiner Heimatstadt Linz geplante »Führer«-Museum erwarb, das das größte Kunstmuseum der Welt werden sollte, besorgte sich Göring seine Stücke zu seinem persönlichen Vergnügen. Er selbst entschied über jedes Stück, das der Sammlung hinzugefügt wurde, die auf diese Weise seine ganz persönliche Handschrift trug.
Nach dem Überfall auf Polen 1939 entdeckte Göring eine neue, schier unerschöpfliche Quelle, um »preiswert« an berühmte Kunstwerke zu gelangen. Auf seinen Befehl ging der österreichische Kunsthändler und SS-Oberführer Kajetan Mühlmann bereits im Oktober 1939 daran, die polnischen Kunstwerke »sicherzustellen«, was so viel bedeutete, wie sie zu beschlagnahmen und nach Deutschland zu senden – bevorzugt an Göring persönlich. Jetzt, nach der Niederlage Frankreichs, öffnete sich für den Kunstdieb ein neues Schlaraffenland. Wieder wurden berühmte Kunstwerke »gerettet« – vor allem vor den alten Eigentümern.
»Görings Verhalten gegenüber Beschlagnahmen war charakteristisch. Er scheute sich, direkt und offen zu stehlen; aber er wollte die Kunstwerke, und so bekam er sie auch, wobei es ihm stets gelang, wenigstens den Anschein der Korrektheit zu wahren.«
Alliierter Bericht von 1945
Wend Graf von Kalnein, der als Offizier im Kunstschutz-Stab der Wehrmacht in Paris für die sachgemäße Behandlung von Kunstwerken sorgen sollte, sind Görings Aktivitäten in denkbar schlechter Erinnerung geblieben: »Als Göring kam, waren alle unsere Bestimmungen und alle unsere Abmachungen plötzlich ohne Wert. Er holte sich, was er wollte. Dabei berief er sich auf seine Position als zweiter Mann im Staate und sagte: ›Gott sei Dank, die Gesetze werden immer noch in Deutschland gemacht!‹ Göring ging sehr schnell vor. Er ließ sich alles ins Museum Jeu de Paume in Paris bringen, wählte aus, ließ sofort verpacken und auf Züge verladen.« Der Reichsmarschall selbst formulierte in einem Brief vornehm, er habe zur Ergänzung seiner Kunstsammlung »nun einige wenige Stücke zum Kauf auch aus den beschlagnahmten jüdischen Kulturgütern vorgesehen«. Tatsächlich beehrte er das Depot im Museum Jeu de Paume etwa zwanzigmal mit seinem Erscheinen, wobei er sich rund 700 Werke als Mitbringsel einpacken ließ – die er trotz anders lautender Behauptungen niemals bezahlte.
Per Dekret vom 5. November 1940 gab Göring die »Rangordnung« vor, die für den Zugriff auf die requirierten, zuvor als »herrenlos« erklärten Kunstwerke aus dem Besitz französischer Juden gelten sollte. Die erste Wahl sollte der »Führer« haben, die zweite er selbst. Erst an dritter und vierter Stelle durften die Partei und die deutschen Museen auf das Diebesgut zugreifen. De facto setzte Göring sich des öfteren über seinen eigenen Befehl hinweg. Eifersüchtig wachte er darüber, neben Hitler nicht zu kurz zu kommen, der sich wie Göring mit den besten Stücken aus der so genannten »Feindvermögensstelle« versorgen ließ.
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