Göring: Eine Karriere (German Edition)
werden, weil es der Reichsmarschall soeben befohlen hat; aber wir werden unser Bestes geben, weil wir ja auch sein Bestes dafür bekommen.«
Göring hatte in der Luftwaffe keinen guten Namen mehr. Er war im Ersten Weltkrieg hängen geblieben. Seine Kenntnisse über die Situation, die bei uns herrschte, waren gleich null.
Gerhard Baeker, Jagdflieger
Der eitle Reichsmarschall trug schwer daran, mit Misserfolgen in Verbindung gebracht zu werden. Die Fehlschläge der Luftwaffe im Kampf gegen England versuchte Göring durch kühne Zahlenakrobatik zu vertuschen – durchsichtige Versuche, die Hitler immer öfter infrage stellte. Sollte der Diktator je die ernste Absicht gehabt haben, eine Invasionsarmee über den Kanal zu schicken, so machte das Unvermögen Görings, die Lufthoheit über den Süden Englands zu erringen, diesen Plänen ein noch schnelleres Ende. Mehr und mehr fixierte Hitler sein ohnehin bevorzugtes Angriffsziel: die Sowjetunion. Ihre schnelle Zerschlagung sollte den Briten jede Hoffnung nehmen, einen neuen Bündnispartner auf dem Kontinent zu finden, und sie zwingen, den Frieden mit Deutschland zu suchen. Anfang November 1940 stand sein Entschluss fest. Während die Luftschlacht um England ihrem Höhepunkt zustrebte, war die »Operation Seelöwe«, deren Vorbereitung sie dienen sollte, bereits stillschweigend begraben.
Vergebens versuchte Göring, den »Führer« zu überreden, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Mehrmals traf er sich mit Hitler im November 1940, um den Diktator umzustimmen. Mindestens einmal gerieten sie wegen des Angriffsplans heftig aneinander. Göring war gegen den Krieg im Osten – zumindest zum geplanten Zeitpunkt. Für ihn war Großbritannien der Hauptgegner Deutschlands, den man zuerst ausschalten musste, bevor man sich der Gefahr eines Mehrfrontenkriegs aussetzte. Hitler wiederum versuchte, Göring zu beschwichtigen: Er könne seine Piloten nach sechs Wochen wiederhaben und seinen Angriff gegen England fortsetzen. Darüber hinaus versprach er, einige hunderttausend Soldaten für die Luftrüstungsindustrie freizustellen. Wie vor dem Westfeldzug fand sich Göring trotz seiner grundsätzlichen Skepsis schnell mit Hitlers Entscheidung ab. Am 6. November 1940 wies er den Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamts im OKW an, die deutsche Kriegswirtschaft auf einen langen Krieg einzustellen. Fünf Wochen später, am 18. Dezember 1940, unterzeichnete Hitler die Weisung für das »Unternehmen Barbarossa«, den Angriff auf die Sowjetunion.
Der Herbst 1940 markiert nach dem Sommer 1938 die zweite Zäsur in den Beziehungen zwischen Hitler und Göring. Die Erfolge der Luftwaffe im Polen- und im Frankreichfeldzug hatten Görings Einfluss auf Hitler und damit seine Macht kurzfristig wieder angehoben und stabilisiert. Das Debakel in der »Battle of Britain« versetzte Görings Autorität einen neuen Schlag, von dem sie sich nicht wieder vollends erholte. In militärischen Dingen sollte Hitler Göring nie mehr vollkommen vertrauen. Bei der Planung des Russlandfeldzugs, den er ablehnte, spielte Göring kaum mehr als eine Statistenrolle. Zwar zog der »Führer« seinen Stellvertreter gelegentlich zu Rate, um sich dann doch nichts achtend über seine Meinung hinwegzusetzen. In militärischen Dingen verließ sich Hitler immer häufiger auf seine Intuition. Göring begann nun, systematisch jede Konfrontation zu vermeiden, und entzog sich Hitler regelrecht. Zwischen Mitte November 1940 und Mitte März 1941 sahen sich der »Führer« und sein »zweiter Mann« nur viermal. Schmollend und verletzt zog Göring sich zurück.
Auch die Kommandeure der Luftwaffe bekamen ihren Oberbefehlshaber in den nächsten Monaten kaum zu Gesicht. Auf dem Höhepunkt der »Battle of England« klinkte sich Göring aus der Kriegführung aus. Am 14. November 1940 trat er den Oberbefehl über die Luftwaffe an seinen Stellvertreter Erhard Milch ab. Zum ersten Mal entzog sich der Reichsmarschall in dieser Form seinen militärischen Pflichten. Kein deutscher Spitzenmilitär hätte sich ein solches Verhalten leisten können. Mitten in der bis dahin schwersten Prüfung seiner Luftwaffe reiste der Reichsmarschall zur Eröffnung der jährlichen Jagdsaison nach Rominten. Den Winter 1940/41 verbrachte er abwechselnd hier und in Carinhall. Er floh vor der Verantwortung und den Fehlschlägen in die Annehmlichkeiten einer luxuriösen Jagd- und Wintersaison. Bedenkenlos gab er sich dem Müßiggang hin und sann darüber
Weitere Kostenlose Bücher