Göring: Eine Karriere (German Edition)
»um den 15. Juni« angreifen. Dahlerus griff zum Telefon; nun waren auch der britische und der amerikanische Botschafter in Stockholm informiert. Am 15. Juni saßen sich der Informant und sein Bote erneut gegenüber. Göring wurde noch konkreter: Der Angriff werde in sieben Tagen, am Sonntag, dem 22. Juni 1941, beginnen. Der zweite Mann des »Dritten Reichs« beging Hochverrat. Nach den Gesetzen des NS-Regimes stand darauf die Todesstrafe. Die Westmächte informierten Stalin, doch dieser glaubte den Warnungen nicht.
Göring war nicht die einzige NS-Größe, die alles daransetzte, die Kriegslage zu wenden. Am 10. Mai 1941 brach Rudolf Heß eigenmächtig zu einem waghalsigen Flug nach Schottland auf. In letzter Minute wollte der »Stellvertreter des Führers« die Briten zu Friedensverhandlungen bewegen. Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Hitler war entsetzt. Göring konnte zwar schnell beweisen, dass Heß die Maschine nicht von der Luftwaffe, sondern von der Firma Messerschmitt erhalten hatte, dennoch scheint der Heß-Flug sein Verhältnis zu Hitler belastet zu haben. Nur zwei Tage nach dem Ereignis führte der »Führer« mit Göring ein langes Gespräch – eines von nur vieren, die beide im Jahr 1941 absolvierten. Zum neuen Leiter der Parteizentrale ernannte Hitler den fanatischen Nationalsozialisten Martin Bormann, einen Widersacher Görings. Mit penibler Genauigkeit notierte dieser von nun an jede Fehlentscheidung des Reichsmarschalls, um dessen sehnlichsten Wunsch, Hitlers Nachfolger zu werden, zu vereiteln.
Unser Vater war Göring gegenüber sehr reserviert. Das beruhte auch auf Gegenseitigkeit, die haben sich irgendwo nicht gemocht. Da gab es eher Reibereien.
Martin Bormann, Sohn von Hitlers Kanzleichef
»Die haben sich nicht gemocht«: Bormann und Göring mit Hitler im »Führer«-Hauptquartier »Wolfsschanze« in Ostpreußen, Ende Juli 1941
Wie stets, wenn er bei Hitler in Ungnade war, versuchte Göring, die Gunst des »Führers« durch besondere Gefolgschaftstreue neu zu erlangen. Hatte er zuvor den Krieg im Osten noch abgelehnt, so peitschte er nun Hitlers Pläne gegen alle Widerstände und Skrupel durch. Mit Haut und Haaren verschrieb er sich dessen Ziel, den Bolschewismus zu vernichten und »Lebensraum im Osten« zu gewinnen. Zwischen Mai und Juli 1941 arbeitete der neu gegründete »Wirtschaftsstab Ost« unter Görings Leitung geradezu fieberhaft. Eine unermessliche Fülle an Rohstoffen und Getreide würde dem Reich in Kürze zuteil werden – so die allgemeine Erwartung. Görings Skrupellosigkeit an der Wirtschaftsfront manifestierte sich in einer Reihe von Befehlen, die er in einer »Grünen Mappe« sammelte. Kaltblütig setzte sich Hitlers zweiter Mann über die humanitären Grundprinzipien des internationalen Kriegsvölkerrechts hinweg. Görings Kalkül sah nicht nur vor, die eroberten Gebiete auszubeuten, sondern auch, die eigenen Truppen aus dem Land zu ernähren. Bewusst nahm er dabei in seiner Planung den Tod von 20 Millionen sowjetischer Menschen in Kauf. Der Reichsmarschall setzte die Ausbeutung der besetzten Gebiete so rücksichtslos durch, dass die Nürnberger Ankläger die Erlasse später zu den wichtigsten Belastungsdokumenten zählten. Dabei wurde Göring nicht zuletzt von seiner maßlosen Raffgier getrieben. Im Juli 1941 ordnete er an, die Dörfer im »Bialowiezer Forst« aus dem Weg zu räumen und das Gebiet Ostpreußen zuzuschlagen. Der »Reichsjägermeister« gedachte in der wildreichen Gegend ein privates Revier einzurichten. Bis Ende des Jahres wurden für dieses Projekt mehr als 100 Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht.
»Endlich wieder ein richtiger Krieg!«: Deutsche »Stukas« greifen sowjetische Stellungen an
Göring, es wird der schwerste Kampf werden, den wir bisher geführt haben.
Hitler zu Göring, kurz vor dem Angriff auf die Sowjetunion
Am 22. Juni 1941 griff die Wehrmacht die Sowjetunion an. Durch einen Zufall der Geschichte – wie Propagandaminister Goebbels in seinem Tagebuch notierte – war dieses Datum fast genau der Jahrestag von Napoleons Einmarsch in Russland 129 Jahre zuvor. Der Ostfeldzug versetzte den Generalstabschef der Luftwaffe, Hans Jeschonnek, in Hochstimmung. »Endlich wieder ein richtiger Krieg!«, rief er und sah seine Flugzeuge erneut den Panzerdivisionen vorauseilen. Überraschungseffekt und technische Überlegenheit verschafften den Geschwadern Görings erneut enorme Erfolge. An der Ostfront errangen die
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