Göring: Eine Karriere (German Edition)
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Hitler betrachtete Udet ganz richtig als einen der größten deutschen Flieger. Leider sah er in ihm auch, völlig zu Unrecht, einen der besten Experten Deutschlands auf dem Gebiet der Luftfahrttechnik.
Erhard Milch
Das Scheitern in der Luftschlacht um England war der erste Kratzer auf dem Schild der deutschen Luftwaffe. Göring brauchte einen Sündenbock und fand ihn in der Person Udets. Dessen Fehler waren nicht mehr zu übertünchen. Auch Milch hielt sich immer weniger mit Kritik an dem unglücklichen Generalluftzeugmeister zurück. Im Herbst 1940 musste Udet auf Geheiß Görings seine Junggesellenwohnung aufgeben und eine neue, repräsentative Wohnung in einer Prominentensiedlung im Grunewald beziehen, wo ihn das »Forschungsamt« fortan überwachte. Zwei Tage nach dem Umzug erlitt der völlig überforderte Mann einen Blutsturz und brach zusammen. Bleich, aufgedunsen und ungepflegt, war er nicht mehr wiederzuerkennen. Udet verfiel zusehends. Er betrank sich immer öfter exzessiv und versuchte, die Folgen mit Aufputschmitteln zu bekämpfen. Göring aber rührte keinen Finger, wo er als verantwortlicher Minister hätte handeln müssen.
Immer deutlicher zeichneten sich die fatalen Folgen einer verantwortungslosen und dilettantischen Rüstungsplanung ab. Die Achillesferse der deutschen Kriegsrüstung war die Motorenentwicklung. Den deutschen Ingenieuren gelang es nicht, leistungsfähige Motoren für eine neue Flugzeuggeneration zu bauen. Die Nachfolgemodelle des mittleren Bombers Ju 88 und der Me 110 fielen schließlich aus, die Umstellung auf Massenproduktion kam nur schleppend voran. Es fehlte der von oben verordnete Wille zu großen Maßnahmen. So sollten den Deutschen schon bald jene Flugzeugtypen fehlen, ohne die ein langer strategischer Bombenkrieg gegen die RAF und deren späteren amerikanischen Bündnispartner nicht zu führen, geschweige denn zu gewinnen war. Mitte 1941 bauten deutsche Mechaniker und Arbeiter weniger Flugzeuge im Monat als ein Jahr zuvor. Solide, realistische Planungen für die zukünftige Flugzeugproduktion – eigentlich Udets Hauptaufgabengebiet – gab es nicht. Göring musste nun politische Zugeständnisse machen und Milch erneut in die Entscheidungsprozesse mit einbeziehen.
Oben: »Jedes Gespräch über den Dienst wurde peinlichst vermieden«: Udet und Göring im März 1941
Unten: »Ich habe meinen besten Freund verloren«: Der Reichsmarschall hält bei Udets Begräbnis am 21. November 1941 die Trauerrede
Noch immer zögerte der Reichsmarschall, Udet zu entlassen, der seiner schleichenden Entmachtung zusah, ohne sich aufzubäumen. Doch Göring selbst konnte die Flugzeugproduktion nicht retten. Zugleich fürchtete er die Konsequenzen bei Hitler, denn er hatte ja die Misere zu verantworten. Am 20. Juni 1941 kündigte der Oberbefehlshaber der Luftwaffe eine Vervierfachung der Luftrüstungsproduktion an. Milchs Stunde war gekommen. Der Staatssekretär ließ sich von Göring umfassende Vollmachten erteilen und erarbeitete ein Rationalisierungsprogramm. In kurzer Zeit gelang es ihm, die Produktionszahlen der Luftrüstungsindustrie deutlich zu steigern. Doch die Folgen von Udets Missmanagement waren nicht mehr zu kompensieren. 1942 konnte die von Göring eigentlich vorgesehene neue Flugzeuggeneration nicht an den Start gehen. Man war dazu gezwungen, die Massenproduktion alter Flugzeugtypen fortzuführen. Die technische Ebenbürtigkeit der Luftwaffe mit ihren Gegnern ging verloren. Auch in der Masse konnten die Deutschen nicht mehr mithalten. 1942 produzierten die Alliierten 100 000 Flugzeuge, Deutschland und seine Verbündeten 26 000. Ein Jahr später standen die Produktionszahlen im Verhältnis 151 000 zu 43 000. Selbst die fünfzig- (1942) beziehungsweise fünfundsiebzigprozentige Steigerung der Produktion konnte den deutschen Rückstand nicht mehr ausgleichen.
Görings Fliegerkamerad wirkte bei Lagebesprechungen häufig nur noch deplatziert. Der ehemalige Held war untragbar geworden. Auch die »Wochenschau« ging dazu über, den Generalluftzeugmeister zu demontieren. Bei einer Lagebesprechung im Sommer 1941 fielen Udet vor laufender Kamera Unterlagen aus der Hand. Er merkte es nicht einmal. Ein letzter Frontalangriff erfolgte im Oktober 1941. Vor 50 Mitarbeitern wies ein Messerschmitt-Funktionär Udet nach, dass er seine Entscheidungen aufgrund gefälschter Zahlen getroffen hatte. Schließlich ertrug Udet die Situation selbst nicht mehr und beschloss, seinem
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