Gößling, Andreas
irgendwo im Dunkeln.
»Noch mehr von eurer Sorte?« Er drehte an den altmodischen Schaltern, die innen und außen neben der Zimmertür angebracht waren. Im Flur und drinnen gingen trübe Deckenlichter an. Marian blieb noch einige Augenblicke auf der Schwelle stehen und schaute sich in Klothas Zimmer um.
Keine Katze, keine Hexe, nicht mal eine Spinne, soweit er das von hier aus sehen konnte. Weder in dem riesengro ßen schwarzen Holzbett, das mehr wie ein Sarg aussah. Noch in dem Schrank an der linken Wand, der weit offen stand und bis auf ein paar nebelgraue Lumpen leer war. Noch in Klothas Nachttisch, vor dem sich Marian jetzt hinhockte, denn vielleicht hatte Billa ja doch was übersehen.
Er zog die Schublade auf. Ein abgegriffenes kleines Buch, in aschegraue Rattenhaut gebunden, lockte ihn magisch an. Am liebsten hätte er es eingesteckt, um später in Ruhe nachzuschauen, was Klotha so zum Einschlafen las. Aber sie durfte auf keinen Fall bemerken, dass jemand in ihren Sachen herumgewühlt hatte. Also warf er nur noch einen raschen Blick auf den sonstigen Krimskrams in der Lade – Eulenfedern, ein stark verrostetes Eisenkreuz, ein paar gebogene Knochen, so zart wie von einem Neugeborenen – und schob sie wieder zu.
Darunter gab es noch ein Türchen mit zwei Fächern dahinter. Kastanienmännchen mit rostigen Nadeln in Au gen, Armen, Herz. Marian musste schlucken. Rührte aber weiterhin nichts an. Auch nicht die Tiegel und Fläschchen mit Pulvern und Flüssigkeiten drin, die hässlich aussahen und noch sehr viel ekelhafter rochen.
Kein rotes Ledersäckchen mit Billas Zähnen und Haaren drin. Damit hatte er natürlich gerechnet, darauf war er genauso gefasst gewesen wie auf die Katze. Trotzdem war ihm ziemlich zittrig zumute, als er aufstand und zu rück in den Flur ging.
Wie man zum Dachboden hochkam, hatte ihm Billa gar nicht gesagt. Das war aber auch nicht nötig. In Klothas Haus gab es kein weiteres Stockwerk über dem Erdgeschoss. Und die Treppe da hinten, am Ende des Flurs, führte offensichtlich geradewegs zum Speicher hoch.
Eigentlich war es mehr eine Holzleiter. Marian war ein bisschen schlecht vor Angst, als er das knarrende Ding hochstieg und oben mit den Händen gegen die Falltür drückte. Die bestand bloß aus ein paar morschen Brettern, die vor mindestens hundert Jahren mit damals schon rostigen Nägeln zusammengehämmert worden waren. Er stemmte sich dagegen. Mit einem lang gezo genen Stöhnschreien schwang die Falltür auf und knallte zur Seite weg.
Marian blieb auf der obersten Sprosse stehen und schau te sich erst mal wieder um. Versuchte es zumindest, denn zu sehen war eigentlich gar nichts. Oder jedenfalls nur Schatten, Schemen im Halbdunkel. Durch Ritzen zwischen den Dachziegeln sickerte ein wenig Sonnenlicht herein und malte bleiche, zitternde Krakel in die Dämmerung.
Dazu ein Geruch wie zehn Tonnen Staub. Und hundert Hektoliter Pisse und Schweiß, die seit tausend Jahren in zehntausend stockfleckigen, mottenzerfressenen Hexenkleidern klebten.
Na, dann viel Spaß beim Suchen. Hatte das eben etwa der Famulus in seinem Kopf gesagt? Konnte ja überhaupt nicht sein. Das hätte mir gerade noch gefehlt, dachte Marian. So wie ihm überhaupt Julians neueste Verrücktheiten gerade noch gefehlt hatten. Während er hier Kopf und Kragen riskierte, um in allerletzter Minute die sechs Go lems vielleicht doch noch unschädlich zu machen – war der durchgedrehte Famulus drauf und dran, ein weiteres dieser Monster zu erschaffen! Das durfte alles überhaupt nicht wahr sein.
Mit weichen Beinen machte Marian einen weiteren Schritt und trat von der Holzleiter auf den Dachboden. Der bestand allem Anschein nach einfach aus Holzbrettern mit riesigen Astlöchern darin.
Zur Sicherheit klappte er die Falltür hinter sich wieder zu. Erneut musste er einen Moment warten, bis er sich halbwegs an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatte. Allmählich sah er etwas klarer.
Die Dachschräge war so steil, dass man nur auf einem schmalen Gang in der Mitte aufrecht gehen konnte. Überall lagen modrige Teppichrollen herum, Säcke, Bündel, Kisten, mit Lumpen oder sonstigem Kram vollgestopft. Balken verliefen kreuz und quer und machten alles noch unübersichtlicher. Doch ganz am Ende des Speichers befand sich ein riesengroßer Schrank, zweitü rig, aus dunklem Holz – dort würde er vielleicht am ehesten fündig werden. Zumindest sah das Ding weniger ekelhaft aus als diese Säcke und Rollen, die alles enthalten konnten
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