Gößling, Andreas
beinahe losgeheult, aufgeschrien, irgendwie seine Angst und Anspannung rausgelassen. Aber jetzt erst mal hier weg.
Die Strohpuppe baumelte immer noch vor ihm an ihrem Balken, doch sie war jetzt nur noch ein Schatten, der zusehends verblasste. Trotzdem achtete Marian darauf, sie nicht versehentlich anzurempeln, als er sich an ihr vorbeischob. Mit drei raschen Schritten war er beim hinteren X mit der senkrechten Strebe in der unteren Hälfte. Auch hier war links wie rechts kein Vorbeikommen und so sprang er mit einem Satz durch die obere Hälfte hindurch.
Der Schrank dahinter war aus schwarzem Holz und sah älter aus als alle Möbelstücke, die ihm jemals untergekommen waren. Er besaß zwei Türen, und als Marian eben die linke Tür aufzog, hörte er die Art von Geräuschen, die er gerade jetzt auf gar keinen Fall hören wollte.
Das Klappern von Hufen. Das Rattern altmodischer Achsen und Räder.
Verdammt, wie lang war er schon hier oben? Er nestelte sein Handy aus der Gürteltasche: halb vier vorbei.
Auch das konnte eigentlich nicht sein. Er hatte höchstens fünf Minuten unten in Klothas Zimmer rumgestöbert und hier oben hatte er noch nicht mal angefangen zu suchen.
Aber noch während er das dachte, wurde ihm klar, wo die verlorenen Stunden abgeblieben waren: im Bannraum zwischen den beiden Hexen-Xen.
60
Mit fliegenden Fingern wühlte Marian das Lumpenzeug durch, das sich hinter der linken Schranktür stapelte. Dutzende altmodischer Kleider, schrillbunt und klebrig verfleckt – Hexen-Glamour, wie er auch Billa manchmal gefiel. Genauer gesagt, Sylvenia.
Mitten in dem Stapel fand er einen zusammengerollten Strick, packte das Horrording und wollte es zur Seite schleudern – an genau so einem Seil hatte der Stroh-Marian zwischen den Hexen-Xen gebaumelt. Aber dann fiel ihm ein, dass er den Strick gleich noch brauchen würde – sogar dringender als irgendwas sonst. Er zog ihn aus dem Haufen Lumpen und warf ihn hinter sich auf den Boden.
Schwer zu schätzen, wie weit die Kalesche noch entfernt war. Einen Kilometer vielleicht? Das Hufklappern wurde jedenfalls immer lauter und neben dem Rattern der eisenbeschlagenen Holzräder meinte er sogar schon heiseres Keifen aus Altweiberkehlen zu hören.
Er machte die rechte Schranktür auf. Keine Katze, keine Aasmottenwolke – nur Unmengen von winzigen Schubfächern, und egal welches er mit fahrigen Händen aufzog: Sie alle waren mit Gold- und Silberketten, mit Broschen und Ringen, mit Etuis, Amuletten, Medaillons vollgestopft.
Jetzt ganz ruhig, ermahnte sich Marian. Aber das war leicht gesagt, wenn einen das eigene Herz praktisch k. o. schlug. Er presste den Mund zusammen, um nicht laut loszuschreien oder so was – dann riss er eine Lade nach der anderen auf, wühlte wie irr das ganze Gold- und Silberzeug durch. Kein rotes Ledersäckchen, nächste Lade, da auch nicht, und wieder, wieder, wieder nix – während vor seinem geistigen Auge schon die Kalesche auf den Hof geklappert kam. Keuchend riss er Schubladen auf, stieß sie wieder zu. Das gibt’s nicht, dachte er, das Ding muss hier irgendwo sein!
Okay, jetzt also einen Emergency-Plan. Den ganzen Schrank würde er nicht mehr schaffen. Sowie die Hexen den Hof erreicht hätten, wüssten sie auch schon, dass jemand bei ihnen eingestiegen war. Außen in der Haustür steckte der Schlüssel und in Klothas Zimmer hatte er nicht mal das Licht ausgedreht. Also musste er vor ihnen wieder unten sein, seine Spuren verwischt haben, mindestens im Schuppen in Deckung gegangen sein.
Noch fünf Schubladen, beschloss Marian, und dann ab durch die Mitte, ob mit oder ohne Billas Kram. Und wieder nix, noch vier, noch drei – und dann schrie er tatsächlich auf: »Hey, bingo!« Ein scharlachrotes Ledersäckchen leuchtete ihm aus der Lade entgegen. Er zerrte es raus, brauchte null Komma drei-drei-drei Ewigkeiten, bis er oben den Riemen aufgezurrt, reingelangt, ein Durcheinander aus kleinen Zähnen, üppigen Strähnen ertastet hatte. Er hängte sich den Beutel um den Hals, wollte schon abdrehen – aber stopp. In derselben Schublade ringelten sich außerdem noch Unmengen von Gold- und Silberkettchen. Er raffte alles zusammen, mittlerweile geübt wie ein Juwelendieb, und stopfte sich den Klimperkram in die Hosentasche.
Billa, gib mir noch ein paar Minuten, dachte er. Fasste dabei mit einer Hand nach dem Pentagramm, mit der anderen nach dem Ledersäckchen. Und dann aber los.
Er kickte die Schranktüren zu, beugte sich vor und hob das
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