Gößling, Andreas
der Bäckerlehrling riss sich los und wich bis an die hintere Verlieswand zurück. Noch hatte er kein Wort gesagt, nur einmal leise aufgestöhnt, als ob er immer noch geknebelt wäre. »Hab Vertrauen«, sagte der Famulus, »diesmal wird es ganz harmlos werden. Du bekommst einen zauberkräftigen Fingerhut auf deinen Zeigefinger gesteckt – der führt dich geradewegs zum Drachenmaul und hält dir alle Spukgestalten vom Leib.« Sein Tonfall wurde drän gender. »Der Meister ist weit mehr noch als ich ein Er leuchteter, ein mächtiger Magier – er und ich wissen genau, was zu tun ist, damit du wohlbehalten hin- und wieder zurückgelangst. Und zur Belohnung erhältst du nicht nur deine Freiheit wieder, sondern einen ganzen Beutel Goldtaler dazu! Hörst du nicht? Du wirst ein reicher Mann sein!«
So redete der Famulus mit unheimlicher Zungenflinkheit auf den gewesenen Bäckerlehrling ein. Dem hatte es anscheinend die Sprache verschlagen, seit er im Bannwald umhergeirrt und dort von Gespensterkrallen im ganzen Gesicht zerschrammt worden war. Jedenfalls antwortete er kein Wort, sah Julian nur aus schreckgeweiteten Augen an oder mit leerem Blick an ihm vorbei.
Da Piet nichts antwortete, versuchte stattdessen Marian noch einmal, den Famulus zur Besinnung zu bringen. Du musst endgültig den Verstand verloren haben!, rief er ihm zu. Du weißt doch, wozu der Großmächtige Meister die Golems gebrauchen will – um sich die ganze Erde zu unterwerfen, um alle Menschen zu seinen Sklaven zu machen! Du kannst ihm doch nicht helfen, diesen wahnsinnigen Plan zu verwirklichen! Das darfst du einfach nicht, Julian!
Ah, pah, dachte der Famulus, nachdem sich sein Ge wissen wieder mal müde gezetert hatte. Die Menschen werden schon bald merken, wie gut es ihnen geht – wenn erst Kaiser Justus und König Julian über die Erde herrschen. Nur wer Böses will, hat unsere Golems zu fürchten – die Wohlmeinenden aber werden jubeln, weil fortan so weise und mächtige Herrscher ihr Geschick bestimmen.
Ein Lächeln der Verzückung verklärte Julians Gesicht. »Aber jetzt noch mal zu dir, Piet«, sagte er. »Du bist doch einverstanden?«
Der ehemalige Bäckerlehrling rieb sich vorsichtig den Hals, der von dem Eisenband ganz wundgeschürft war. »Und wenn nicht?«, fragte er zurück.
Julian sah ihn einen Moment lang ausdruckslos an. Dann schüttelte er den Kopf und sagte mit einem Lächeln: »Darüber brauchen wir kein Wort zu verlieren.« Er trat zu Piet und nahm wieder dessen Hand in die seine. Und diesmal versuchte Piet nicht, ihm seine Rechte zu entreißen. »So ist es also beschlossen«, sagte der Famulus. »Du gehst sofort los und bist noch vor dem Abend wieder hier.«
Piet nickte, aber es war mehr ein nervöser Krampf als wirkliche Bejahung. Er fing an, im Gesicht und am ganzen Körper unbeherrscht zu zucken. Doch der Famulus kümmerte sich nicht darum. Er wandte sich um, ging mit raschen Schritten zur Tür und schlug mit der Faust dagegen.
»Öffnet, Lichtträger«, rief er in einem Tonfall, der fast schon so gebieterisch wie beim Großmächtigen Meister klang. »Mabrosilat«, setzte er sehr viel leiser hinzu, denn sein Gewissen war so angewidert, dass es keinen Moment länger bei ihm ausharren wollte. » … silat.«
71
Am zweiten Abend nach ihrem Abschied von Linda hatte die letzte Etappe ihrer inneren Reinigung begonnen. Seitdem nahmen Billa und Marian auch keine Flüssigkeit mehr zu sich. Nicht einmal mehr einfaches Wasser.
Ihre Körper wurden noch matter und leichter, ihr Geist noch freier, jeder Gedanke fast schmerzlich klar. Schlaf und Wachsein waren kaum mehr zu unterscheiden. So wenig wie Tag und Nacht, wenn man die Welt nur noch durch das schwarze Tuch hindurch sah.
In diesem Zustand des wachen Träumens oder traumhaften Überwachseins erkannte Marian auch, wie er durch Julian den Golem vernichten konnte, den Meister Justus erschaffen würde, sobald er die magische Scherbe in Händen hielt. Der Famulus hatte gewiss seinen Anteil daran, dass diese Kreatur entstehen würde – genug jedenfalls, um sie auch wieder zerstören zu können.
»Wäre ich damals schon so weit gewesen wie heute«, sagte Marian zu Billa, »bestimmt hätte ich Meister Justus hindern können, die Golems zu erschaffen.«
Sagte es oder dachte es vielleicht auch nur – und Billa, die neben ihm dämmerte, bekam es trotzdem auf dem Gedankenweg mit. So eng verbunden waren sie mittlerweile, dass er sogar das Hexenbiest in ihrem Innern fühlte. Wie es
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