Gößling, Andreas
rumorte und auszubrechen versuchte, aber dafür war Sylvenia viel zu schwach. Damit ihre Hexenkraft zurückkehrte, müssten sie draußen am Drachenmaul mindestens die Hälfte der Amulette von Billa entfernen. Das war der gefährlichste Teil ihres Plans, aber anders ging es nicht.
Einmal schrieb er noch eine SMS an Linda (hier alles ok, bis bald, lg marian), doch eigentlich war alles gesagt.
Selbst die Angriffe der Hexenkatzen, Hexenvögel lie ßen nun merklich nach. So als ob Klotha und die anderen spürten, dass sie ihnen auf diesem Weg nicht mehr gefährlich werden könnten.
Am Morgen des letzten Tages, bevor sie ins Hexenholz gehen würden, kehrte er noch einmal zu Julian zurück. Er kam gerade in dem Moment an, als der Famulus von Bardo Krummbiehl durch den untersten Keller geführt wurde: von seinem Verlies zu dem Raum hinter der Biegung, der damals noch durch eine Tür vom Flur abgetrennt war.
Am Boden lag eine erbärmlich kleine Lehmpuppe, kaum eine Elle lang, doch kunstvoll geformt. Elend klein war auch der Scherbenrest, den der arme Piet anscheinend vom Drachenmaul herbeigeholt hatte. Nicht größer als eine Hand des Großmächtigen Meisters, der soeben Ritter Gunter einen Wink gab. Der Schwarzbärtige trug daraufhin ein kleines Eisengestell herbei und stellte es so auf, dass der leere Rahmen wieder über dem Gesicht des Golems schwebte.
Justus setzte vorsichtig den Scherbenrest hinein. Der war kreuz und quer mit Sprüngen durchzogen und doch schien der Meister hochzufrieden zu sein. Tatsächlich bewegten sich in dem Glasstück zwei käferkleine Wesen hin und her, das eine schwefelgelb und geschmeidig sich schlängelnd, das zweite von feuerroter Farbe und wie eine Adlerfeder geformt. Astometh und Ohyrion.
Der Goldschmied schob den Famulus in den Raum und schloss hinter ihnen die Tür. Julian machte einen Schritt auf den Großmächtigen Meister zu, wollte sich zu ihm gesellen, um gemeinsam mit ihm den Golem zu erwecken. Doch da wurde er von hinten gepackt und zurückgerissen.
»Lasst ihn dabei sein«, brummte Justus, ohne auch nur zu ihnen hinzusehen. »Aber bindet ihn fest, damit er mir nicht ins Werk pfuschen kann.«
Der Goldschmied drückte den Famulus zu Boden und wand ihm einen Strick um Fußknöchel und Handgelenke, sosehr Julian sich auch sträubte und schreiend wehrte. »Halt Er sein Maul«, sagte Bardo, »sonst wird’s Ihm gestopft.«
»Aber der Meister und ich …«, schrie Julian außer sich. Weiter kam er nicht. Bardo nahm einen modrigen Lumpen vom Boden auf und stieß ihn dem Famulus in den Mund. Julian würgte und spuckte, doch es gelang ihm nicht, den Knebel auszuspeien. Er schmeckte ungeheuer ekelhaft. Aber sehr viel ärger als an dem widerlichen Geschmack würgte Julian an der Erkenntnis, dass er betrogen worden war.
Unterdessen hatte die Beschwörung bereits wieder be gonnen. Die Lichtträger stampften im Kreis um die Lehmpuppe. Riefen ihre Formeln, gossen Wasser über den Golem, entzündeten Pulver in Schalen. Die Flammensäulen schossen empor, eine schwefelgelb, eine vom Rot kochenden Blutes. Unter der Decke entstanden zwei Lichttropfen in denselben Farben, wuchsen zu Schlangenzungen, schwangen sich bald schon über der Scherbe zitternd hin und her.
Zuletzt begann wiederum der Großmächtige Meister den Golem zu umkreisen. »Der göttliche Odem durchweht dich«, rief er. »Schem – ham – for – as!« Er zog die Adlerfeder aus seinem Umhang, stieß sich ihr spitzes Ende in den linken Daumen und warf sich neben dem Golem auf die Knie. Beugte sich vor und ritzte Ammanth in die Stirn des Golems. Dazu schrie er abermals mit ei ner Stimme wie Donner : »Der göttliche Odem durchweht dich! Schem – ham – for – as!«
Unterdessen hatte der Famulus seine gefesselten Hände zu seinem Mund erhoben. Er ahnte nicht im Geringsten, warum er das machte, ja er bekam kaum mit, dass er sich überhaupt bewegte. Die vier Männer achteten nicht auf ihn – sie starrten auf den Golem, dessen Gliedmaßen nun zu zucken begannen.
Marian ließ den Famulus kräftig in seinen linken Zeigefinger beißen. Das war nicht ganz einfach, weil der Knebel im Weg war. Aber schließlich stöhnte der Famulus auf, zog den blutenden Finger aus seinem Mund und sah ihn entgeistert an. Sein Japsen und Seufzen ging in den Hochrufen der Lichtträger unter, die die jüngste Wundertat ihres Meisters priesen. »Er kommt zu sich, seht nur! Seine Augen öffnen sich! Wie demütig er Euch anschaut, Meister! Ah, was für
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