Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
»Roman des Weltalls« gegeben hat, ist kaum angefangen. Dem Herzog wird er von Rom aus schreiben:
Da ich mir vornahm meine Fragmente drucken zu lassen, hielt ich mich für tot, wie froh will ich sein, wenn ich mich durch Vollendung des angefangnen wieder als Lebendig legitimieren kann.
Wenn Goethe an einem seiner Werke arbeitete, fühlte er sich als Schriftsteller, da er nun die Sammlung seiner Fragmente überblickt, kommt es ihm so vor, als wäre er inzwischen keiner mehr. Im Sommer 1786 will er eine Entscheidung herbeiführen. Entweder wird die Gesamtausgabe zu einem Friedhof begrabener Vorhaben, oder es gelingt ihm, die angefangenen Werke zu vollenden. Entweder wird er ein zwar lebender Geheimrat aber ein toter Autor sein, oder er beweist sich und seinem Publikum, daß der Künstler in ihm noch lebt und vielleicht sogar wiedergeboren ist. Diese Selbstprüfung wird er nicht unter gewöhnlichen Umständen durchführen können. Er wird dafür einen längeren Urlaub vom Amt benötigen.
So verband sich Goethes Wille, eine Entscheidung in der Sache seiner Autorschaft herbeizuführen, mit seinem alten Traum von Italien. Unter der Sonne Italiens wollte er seine Werke zum Abschluß bringen. Das war zunächst das hauptsächliche Ziel. Deshalb bestand das Reisegepäck vor allem aus Manuskripten, an denen er, wo immer es möglich war, so intensiv arbeitete, daß er gelegentlich fürchtete, ihm könnte darüber der Genuß des italienischen Paradieses entgehen. Denn Italien war ein Paradies für ihn, nicht als er dort war, aber als er nach dorthin aufbrach und von dort wieder zurückkehrte. In Italien war der Vater glücklich gewesen und hatte ihm manches erzählt und einiges an Bildern und sonstigen Erinnerungsstücken mitgebracht. So hatte er sich denn entschlossen, schrieb er dem Herzog,
einen langen einsamen Weg zu machen und die Gegenstände zu suchen, nach denen mich ein unwiderstehliches Bedürfnis hinzog. Ja die letzten Jahre wurd es eine Art von Krankheit, von der mich nur der Anblick und die Gegenwart heilen konnte. Jetzt darf ich es gestehen Zuletzt durfte ich kein Lateinisch Buch mehr ansehn, keine Zeichnung einer italienischen Gegend. Die Begierde dieses Land zu sehn war überreif.
Auf der einen Seite der Wille, den Poeten und Künstler in sich wieder zu wecken, einige Werke zum Abschluß zu bringen, um frei für Neues zu werden, auf der anderen Seite das Sehnsuchtsland Italien – das waren die beiden Hauptmotive seiner Reise. Dazu kam das Verlangen nach einstweiligem Abstand von den Amtsgeschäften und – von Charlotte. Im ersten Brief aus Italien schreibt er ihr:
diese Entfernung
wird dir mehr geben als oft meine Gegenwart
.
Wann genau Goethe das Reiseziel Italien ins Auge gefaßt hatte, ist ungewiß. Am 12. Juli 1786, als er an Jacobi nach England schrieb, scheint er aber schon entschlossen gewesen zu sein:
wenn du wiederkommst werde ich nach einer andern Weltseite geruckt sein.
Heimlich trifft er seine Vorbereitungen, nur sein Sekretär und Vertrauter Philipp Seidel ist eingeweiht, nur er kennt den Namen, unter dem Goethe zu reisen beabsichtigt: Johann Philipp Möller. Unter diesem Namen wird er auch die Geldsendungen, die er sich nachschicken läßt, in Empfang nehmen. Warum die Geheimhaltung zuvor, warum das Inkognito?
Es war riskant, abzufahren ohne vom Herzog einen längeren Urlaub erbeten zu haben, denn mit einer Abwesenheit von einigen Monaten rechnete er, ohne zu ahnen, daß sogar fast zwei Jahre daraus würden. Er wollte den Herzog nicht zuvor um Urlaub bitten, denn dann hätte er die Reise zur Disposition stellen und seine Entscheidung von der des Herzogs abhängig machen müssen. Das aber wollte er nicht. Er wollte alleine und für sich entscheiden. Es sollten Tatsachen geschaffen werden. Das Risiko, daß der Herzog mit Unwillen reagieren und ihn vielleicht sogar zurückrufen könnte, mußte er eingehen. Indem er in den Briefen von unterwegs keine Ortsangaben machte, sollte vermieden werden, daß ihn ein solcher Rückruf überhaupt erreichen konnte, ehe er in Rom war. Dort erst fühlte er sich in Sicherheit, denn er wäre dann weit genug weg. So dachte er, so plante er und so führte er es aus.
Das Risiko war aber nicht nur der Rückruf. Der Herzog hätte ihm auch sein Vertrauen aufkündigen und ihn entlassen können. Es gibt in den Briefen an Freunde und Bekannte, auch aus späterer Zeit, keinen Anhaltspunkt dafür, daß Goethe diese Möglichkeit mit ihren katastrophalen, vor allem
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