Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
machte sich um fast zehn Jahre jünger und tauchte in das sozial deutlich tieferstehende Künstlervolk in Rom ab, wo er sich dann aber wie in dem ihm angemessenen Element bewegte.
Zurück zur Abreise. Es war alles gut vorbereitet. Auch die amtlichen Verantwortlichkeiten hatte er behutsam umgruppiert. So wirkungsvoll und unmerklich war das von ihm organisiert worden, daß er dem Herzog schreiben konnte:
Im Allgemeinen bin ich in diesem Augenblicke gewiß entbehrlich, und was die besondern Geschäfte betrifft die mir aufgetragen sind, diese hab ich so gestellt, daß sie eine Zeitlang bequem ohne mich fortgehen können; ja ich dürfte sterben und es würde keinen Ruck tun.
Ende Juli 1786 reist Goethe, wie schon im Jahr zuvor, zur Badekur nach Karlsbad. Er weiß, daß er von dort nach Italien aufbrechen wird, und hat sich deshalb schon in Weimar auf die große Reise vorzubereiten gehabt. In Karlsbad kuren die Herders, und auch der Herzog und Charlotte treffen dort ein. Es sind vergnügte, unbeschwerte Wochen in Karlsbad, so scheint es allen, die Goethe damals trafen. Morgens Wasserkuren, tagsüber Wanderungen, abends Geselligkeiten. Goethe liest aus dem »Faust« vor. Es kommt zu ausführlichen Gesprächen mit dem Herzog, dem er überraschend für sich und ihn an einem Abend, so als müsse er bei ihm ein Vermächtnis deponieren, eine Art Rechenschaft über sein Leben ablegt. Aber über das unmittelbare Vorhaben schweigt er.
Am 3. September 1786 um 3 Uhr in der Frühe reist er ab. Die Gesellschaft, in der er bis zum Vortag noch verkehrte, fühlt sich düpiert. Die Stiftsdame Amelie von Asseburg schreibt an den Herzog: »Der Hr. Geheime Rat von Goethe ist ein deserteur den ich gern nach aller Strenge des Krieges Rechts behandeln möchte. Er hat sich saisiert 〈die Gelegenheit ergriffen〉 ohne von uns Abschied zu nehmen, ohne im geringsten seinen Entschluß vermuten zu lassen. Das war wirklich recht häßlich! Bald möchte ich sagen à la françoise. Nein! wir Preußen überlisten unsre Feinde, nie aber benutzen wir List gegen unsre Freunde.«
Anmerkungen
Achtzehntes Kapitel
Die Italienreise. Inkognito und ohne Adresse. Erste Lockerungen.
Palladio. »Ich studiere mehr als daß ich genieße«. Rom.
Iphigenie beendet. Unter Künstlern. Moritz. Neapel und Sizilien.
Der Zauber der Phäaken. Zweiter Romaufenthalt. Egmont beendet.
Faustina. Abschied von Rom.
Den ersten Streckenabschnitt über Regensburg, München, Innsbruck, Bozen bis Trient trieb Goethe den Kutscher zur Eile an. Es wurden weniger Zwischenstationen gemacht als üblich. Im »Tagebuch der italienischen Reise für Frau von Stein 1786« notiert er:
Was laß ich nicht alles liegen? um den Einen Gedanken auszuführen, der fast schon zu alt in meiner Seele geworden ist.
Der eine Gedanke ist die endliche Ankunft in Rom! Und doch nahm er sich, seinem Vorsatz entsprechend, Zeit für das Sammeln von Versteinerungen. Es wird auch botanisiert. Charlotte, die auf eine Erklärung der heimlichen Abreise wartet, muß sich mit recht langweiligen Beschreibungen des Klimas, der Steine und der Vegetation begnügen. Nur weil
der
Trieb und die Unruhe
nach Rom drängt, hält er sich damit nicht gar zu lange auf.
Getrieben ist Goethe nicht nur von dem Verlangen, endlich einmal nach Rom zu kommen und dort die Träume seiner Jugend ins Leben treten zu lassen. Getrieben ist er auch von anderen Absichten. Es ist überhaupt alles sehr absichtsvoll, was er bei dieser Reise unternimmt. Die Briefe von unterwegs bekräftigen dies, der Mutter gegenüber:
Ich werde als ein neuer Mensch zurückkommen
, den Freunden in Weimar:
Denn es geht
〈...〉
ein neues Leben an
oder gegenüber Herder:
Man muß so zu sagen wiedergeboren werden
.
Doch kann man sich so etwas vornehmen? Wiedergeburt als Arbeitspensum? Und wie möchte er sein? Genau weiß er es natürlich nicht. Einiges aber deutet er an, zum Beispiel in einem Brief an Herder, eine Woche nach der Ankunft in Rom:
Was ich aber sagen kann und was mich am tiefsten freut ist die Wirkung, die ich schon in meiner Seele fühle: es ist eine innre Solidität mit der der Geist gleichsam gestempelt wird; Ernst ohne Trockenheit und ein gesetztes Wesen mit Freude.
Ernst
und ein
gesetztes Wesen
– solches hatte sich der Geheimrat in den letzten Jahren nun wirklich zugelegt. In dieser Hinsicht braucht er sich nicht zu ändern, doch es soll ein
Ernst ohne Trockenheit
sein; die Steifheit, über die manche klagten, soll sich unter der südlichen
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