Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Beanspruchung versuchte er die Stunden abzugewinnen, in denen er schreiben und beispielsweise jenes Kapitel des »Wilhelm Meister« fertigstellen konnte, worin die Dichtung gegen die verteidigt wird, die daraus eine schöne Nebensache für die
müßigen Stunden
machen wollen.
Wie irre bist du lieber Freund
, erklärt Wilhelm dem nüchternen und tüchtigen Werner,
wenn du glaubst, daß eine solche Arbeit deren Vorstellung die ganze Seele füllt, könne in unterbrochenen zusammengegeizten Stunden hervorgebracht werden. Nein, der Dichter muß ganz sich, ganz in seinem geliebten Gegenstande leben. Er der vom Himmel inwärts auf das köstlichste begabet ist, der einen unzerstörlichen Reichtum von der Natur erhalten hat, er muß auch inwärts ungestört mit seinen Schätzen in der Glückseligkeit leben.
An Charlotte von Stein schrieb er zur selben Zeit, der Wilhelm Meister mache ihm eine
gute Stunde
.
Eigentlich bin ich zum Schriftsteller geboren
. Und wenig später:
Ich bin recht zu einem Privatmenschen erschaffen und begreife nicht wie mich das Schicksal in eine Staatsverwaltung und eine fürstliche Familie hat einflicken mögen.
Eine Weile lang hielt Goethe noch durch. Auch weiterhin findet man in seinen Briefen die formelhafte Beteuerung, er lebe im Ganzen doch recht
glücklich
. Aber es überkamen ihn auch melancholische Gedanken. Die Mutter reagierte auf entsprechende Briefe besorgt. Er versuchte sie mit den Worten zu beruhigen,
daß man von ernsthaften Sachen ernsthaft wird, ist auch natürlich, besonders wenn man von Natur nachdenklich ist, und das Gute und Rechte in der Welt will
. Doch dann verfällt er wieder in die trübselige Tonart:
vergnügen Sie Sich an meinem Dasein jetzt und wenn ich auch vor Ihnen aus der Welt gehen sollte. Ich habe Ihnen nicht zur Schande gelebt, hinterlasse gute Freunde und einen guten Namen, und so kann es Ihnen der beste Trost sein daß ich nicht ganz sterbe.
Von Amts wegen hatte Goethe mit vielen Leuten Umgang, aber persönlich schloß er sich ab. Innigeren Umgang pflegte er zeitweilig nur noch mit Charlotte. Ihr schrieb er (auf Französisch), sie habe ihn in der Welt isoliert, und er habe absolut nichts zu sagen, zu niemandem, er rede nur noch, um nicht zu schweigen. Und dann wurde er sogar Charlotte gegenüber schweigsam. Sie klagt darüber, und er antwortet mit ausführlichen Briefen, in denen er ihr seine Liebe wortreich beteuert. Im August 1785 wurde Charlottes Ehemann, der Oberstallmeister, von der Pflicht (oder dem Privileg) entbunden, an der höfischen Tafel zu speisen. Er begann, zum ersten Mal, mit Charlotte ein häusliches Leben zu führen. Für die Beziehung zwischen ihr und Goethe war das schon fast eine Katastrophe, denn es gab nun deutlich weniger Gelegenheiten zum vertrauten Umgang. Er überhäufte sie mit Klagen:
Eben wollt ich mich gegen dich beklagen daß du mich so allein lassen magst, denn ich bin doch allein mit alle denen Menschen und mein Herz verzehrt sich in Sehnsucht nach dir.
Ähnlich verzweifelter Stimmung ist er, als er ihr, gerade mit der Durchsicht seines »Werther« für einen neuen Druck beschäftigt, ein knappes Jahr später schreibt, er
finde immer daß der Verfasser übel getan hat sich nicht nach geendigter Schrift zu erschießen.
Aus solchen und ähnlichen Briefen kann man den Eindruck gewinnen, daß Goethe wohl nicht übertrieb, als er später von Rom aus, auf die Jahre vor Italien zurückblickend, an den Herzog schrieb, ihn hätten die
physisch moralischen Übel
vor der Abreise nach Italien so gequält, daß sie ihn
zuletzt unbrauchbar machten
.
Im Sommer 1786 tritt durch Vermittlung von Bertuch der Verleger Göschen an Goethe heran und unterbreitet ihm den Vorschlag, eine Gesamtausgabe der Werke zu veranstalten. Etwas Neues von ihm ist seit 1775 nicht mehr erschienen. Göschen vermutet, Goethe werde nach so einem langen Zeitraum einige fertige Manuskripte in der Schublade haben und verspricht sich auch ökonomisch etwas davon. Goethe ist, nach einigem Besinnen, mit dem Plan einverstanden, allein schon deshalb, um den Raub- und Nachdruckern etwas entgegensetzen zu können.
Bei der Vorbereitung der auf acht Bände konzipierten Ausgabe wird ihm schockartig klar, daß er seit zehn Jahren bis auf »Iphigenie« und einige Dramolette und Singspiele nichts zum Abschluß gebracht hat. »Faust«, »Egmont«, »Wilhelm Meister« und »Tasso«, lauter angefangene und nicht abgeschlossene Werke. Das große ambitionierte Naturpoem, dem er den Namen
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