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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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finanziellen Folgen ernsthaft ins Auge gefaßt hatte. Nur einmal wird sie dem Herzog gegenüber als mögliche Unmöglichkeit angedeutet:
Versagen Sie mir ein Zeugnis Ihres Andenkens und Ihrer Liebe nicht. Einsam in die Welt hinausgestoßen wäre ich schlimmer dran als ein Anfänger,
schrieb er ein Vierteljahr nach seiner Abreise, beunruhigt über das Schweigen des Herzogs. Sonst aber scheint Goethe sich bei ihm der Gefühle von Zutrauen, Wertschätzung und Anhänglichkeit ziemlich sicher gewesen zu sein. Doch eben nicht sicher genug, um auf den fast unterwürfigen Ton in den ersten Briefen aus Italien verzichten zu können. Man spürt den Wunsch, eine Unbotmäßigkeit vergessen zu machen.
    Goethes Geheimhaltung seiner Reisepläne hatte also eine präzise Funktion. Er wollte die Entscheidung für Italien eben unabhängig vom Herzog treffen. Doch zur rationalen kam noch eine irrationale Geheimhaltung. So war es schon gewesen bei der Harzreise im Winter 1777. Auch damals verriet er keinem den bereits länger gehegten Plan. Auch damals entsprach der äußeren Geheimhaltung eine innere Mystifikation, denn mit der Besteigung des Brocken sollte eine Art Gottesurteil in Bezug auf die Entscheidung für Weimar herbeigeführt werden. Die Geheimhaltung schützt den Zauberkreis höherer Bedeutsamkeit. So auch bei der Reise nach Italien. Von Rom erhoffte sich Goethe eine Gesundung an Leib und Seele. Deshalb wachte er abergläubisch darüber, daß ihm die Wunderkraft des Ortes nicht durch vorzeitiges Bereden zerstört werde. Angekommen in Rom, schreibt er dem Herzog:
Endlich kann ich den Mund auftun und Sie mit Freuden begrüßen, verzeihen Sie das Geheimnis und die gleichsam unterirdische Reise hierher. Kaum wagte ich mir selbst zu sagen wohin ich ging
.
    Bis zur Ankunft in Rom machte er sich faktisch vom Herzog unabhängig; danach legt er sein Schicksal wieder ausdrücklich in dessen Hände:
Die Dauer meines gegenwärtigen Aufenthalts
, schreibt er in seinem ersten Brief aus Rom,
wird von Ihren Winken
〈...〉
abhängen
. In immer neuen Wendungen betont er, er werde als ein Gewandelter zurückkommen; der Herzog möge ihm seine
Liebe erhalten, damit ich zurückkehrend eines neuen Lebens, das ich in der Fremde erst schätzen lerne, mit Ihnen genießen möge.
    Natürlich war der Herzog irritiert über Goethes Heimlichtuerei, doch auf die Dauer hat er sie ihm nicht verübelt. Es wird tatsächlich, so wie es Goethe sich gewünscht hat, das Verhältnis zwischen den beiden auf eine neue Grundlage gestellt. Charlotte aber wird ihm die Flucht nach Italien und den damit verbundenen Vertrauensbruch nicht verzeihen. In ihrer ersten Reaktion wird sie ihre Briefe von ihm zurückfordern.
    Zum praktischen Sinn der Geheimhaltung gehörte das sorgfältig gewahrte Inkognito. Wenn er nicht unter seinem Namen reiste, konnte er auch nicht unter seinem Namen zurückgerufen werden. Aber wie bei der Geheimhaltung überhaupt hat das Inkognito für Goethe ebenfalls eine tiefere Bedeutung. In Sesenheim beim ersten Besuch im Hause Friederike Brions hatte sich Goethe verkleidet und war unter anderem Namen aufgetreten. Ebenso bei der Harzreise im Winter. Damals schrieb er an Charlotte:
Mir ist’s eine sonderbare Empfindung, unbekannt in der Welt herumzuziehen, es ist mir als wenn ich mein Verhältnis zu den Menschen und den Sachen weit wahrer fühlte.
    Goethe wählte für seine Verkleidungsspiele und Inkognito-Auftritte in der Regel sozial niedriger stehende Rollen. Er erhoffte sich davon einen Wahrheitsgewinn. Nicht nur die anderen, so kam es ihm vor, begegneten ihm dann offener, auch er selbst öffnete sich und entdeckte bei sich selbst neue Seiten, die sonst nicht ausgelebt wurden. In der Selbstverkleinerung (dem äußeren Rang nach) fand er eine überraschende Selbststeigerung. Später wird er in einem Brief an Schiller diese umwegige Selbstdarstellung seinen
Tic
nennen,
durch den ich meine Existenz, meine Handlungen, meine Schriften den Menschen aus den Augen zu rücken behaglich finde. So werde ich immer gerne inkognito reisen, das geringere Kleid vor dem bessern wählen, und, in der Unterredung mit Fremden oder Halbbekannten, den unbedeutenden Gegenstand, oder doch den weniger bedeutenden Ausdruck vorziehen, mich leichtsinniger betragen als ich bin und mich so, ich möchte sagen, zwischen mich selbst und zwischen meine eigne Erscheinung stellen.
    Nach Italien reiste er also als der Maler Johann Philipp Möller. Der geadelte »Wirkliche Geheime Rat«

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