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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Sonne lösen, und das
gesetzte Wesen
soll mit Freudigkeit verbunden werden. Er möchte sich hingeben, ohne sich dabei etwas zu vergeben. Ein gelockertes Wesen, das sich seines Mittelpunktes gewiß ist. Das nennt er das Gefühl der
inneren Solidität.
Damit kann man sich ohne Scheu einer Volksmenge und ihrem pittoresken Leben überlassen.
In meiner Figur, zu der ich noch leinene Unterstrümpfe zu tragen pflege, (wodurch ich gleich einige Stufen niedriger rücke) Stell ich mich auf den Markt unter sie, rede über jeden Anlaß, frage sie, sehe wie sie sich unter einander gebärden, und kann ihre Natürlichkeit, freien Mut, gute Art p nicht genug loben.
    Nach einem solchen Bad in der Menge, kommt ihm zu Bewußtsein, was ihm in Weimar fehlt:
Ich kann dir nicht sagen was ich schon die kurze Zeit an Menschlichkeit gewonnen habe. Wie ich aber auch fühle was wir in den kleinen Souverainen Staaten für elende einsame Menschen sein müssen weil man, und besonders in meiner Lage, fast mit niemand reden darf, der nicht was wollte und möchte.
    Manchmal überläßt sich Goethe spontan einer Situation, folgt einer Verlockung auf Nebenwege und Abwege. Er muß sich erst wieder an solche Freiheiten gewöhnen, denn er setzt, stärker als früher, auf Planmäßigkeit. Er hat sich mit Reise- und Kunstführern ausgerüstet, und die wollen abgearbeitet werden. Vor allem ist da der für das gebildete Publikum von damals unvermeidliche Johann Jakob Volkmann zu nennen. Später wird er Charlotte schulmeisterlich anweisen, die Reiseroute im Volkmann gefälligst nachzulesen, und er selbst verordnet sich ein penibel ausgearbeitetes Besichtigungsprogramm. Doch er möchte auch nicht für einen dieser herumreisenden Engländer gehalten werden. In Verona kauft er sich Kleidung, wie man sie hier trägt und freut sich, daß er seine italienischen Sprachkenntnisse anwenden kann, die er in Weimar zuvor heimlich aufgefrischt hatte. Er mischt sich unters Volk,
ich rede mit den Leuten die mir begegnen, als wenn wir uns lange kennten. Es ist mir eine rechte Lust.
Das bunte Leben auf Plätzen und Straßen gefällt ihm:
Auch was hin und her wandelt erinnert einen an die liebsten Bilder. Die aufgewundnen Zöpfe der Weiber, die bloße Brust und leichten Jacken der Männer, die trefflichen Ochsen die sie vom Markte nach Hause treiben, die beladenen Eselchen
〈...〉
Und nun wenn es Abend wird und bei der milden Luft wenige Wolken an den Bergen ruhn
.
    Im Kontrast dazu erscheint ihm die Gegend, aus der er kommt, kalt und düster, und er selbst kommt sich vor wie ein
nordischer Bär
. Bei anderer Gelegenheit schreibt er:
doch was Tag sei wissen wir Cimmerier kaum. In ewigem Nebel und Trübe ist es uns einerlei ob es Tag oder Nacht ist, denn wie viel Zeit können wir uns unter freiem Himmel wahrhaft ergehen und ergötzen?
Die Vorstellung vom Schmuddelwetter, das ihn zu Hause bei den Nordgermanen erwartet, wird ihn während der ganzen Italienreise begleiten.
    Das Volksleben hat es ihm angetan. Es gibt eindringliche Beschreibungen davon schon bei den ersten Reisestationen. Sie sind prägnanter und einfallsreicher als manche seiner langatmigen Beschreibungen von Bildwerken und Skulpturen. Über das antike Amphitheater in Verona zum Beispiel schreibt er:
Wenn man
〈...〉
oben auf dem Rande steht ist es ein sonderbarer Eindruck, etwas Großes und doch eigentlich nichts zu sehn. Auch will es leer nicht gesehn sein, sondern ganz voll Menschen
〈...〉
Denn eigentlich ist so ein Amphitheater recht gemacht dem Volk mit sich selbst zu imponieren, das Volk mit sich selbst zum besten zu haben.
〈...〉
Da es sonst nur gewohnt ist sich durch einander laufen zu sehn, sich in einem Gewühl ohne Ordnung und ohne sonderliche Zucht zu sehn, sieht das vielköpfige, vielsinnige, schwankende, schwebende Tier sich zu Einem Ganzen vereinigt
〈...〉
und zu einer Form gleichsam von Einem Geiste belebt.
    In Vicenza blieb er einige Tage. Es waren vor allem die Bauten Andrea Palladios, die ihn hier so lange festhielten.
Ich gehe nur immer herum und herum und sehe und übe mein Aug
, schreibt er. Das von Palladio errichtete alte Rathaus und das olympische Theater mit der freien Verwendung antiker architektonischer Elemente ist für ihn ein grandioses Beispiel für schöpferische Weiterentwicklung einer ehrfurchtgebietenden Tradition. Die Seele wird heraufgestimmt, schreibt er, es wird einem
das
herrliche eines großen wahren Daseins
fühlbar gemacht.
    Mit Palladio hatte sich Goethe

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