Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
das allen gemein sei / Von der begeisternden Freiheit und von der löblichen Gleichheit! / Damals hoffte jeder, sich selbst zu leben; es schien sich / Aufzulösen das Band, das viele Länder umstrickte, / Das der Müßiggang und der Eigennutz in der Hand hielt. / Schauten nicht alle Völker in jenen drängenden Tagen / Nach der Hauptstadt der Welt, die es schon so lange gewesen, / Und jetzt mehr als je den herrlichen Namen verdiente?
Was aber war nun für Goethe so
schrecklich
an der Revolution? Er bemerkt durchaus das empörende Unrecht und die Ausbeutung um ihn herum, sogar in dem Herzogtum, für das er Mitverantwortung trägt. An Knebel schrieb er einige Jahre vor der Revolution:
Du weißt aber wenn die Blattläuse auf den Rosenzweigen sitzen und sich hübsch dick und grün gesogen haben, dann kommen die Ameisen und saugen ihnen den filtrierten Saft aus den Leibern. Und so geht’s weiter, und wir haben’s so weit gebracht, daß oben immer in einem Tage mehr verzehrt wird, als unten in einem beigebracht / organisiert (ad alia) werden kann.
Habgier, Verschwendungssucht und Willkür der Aristokratie waren für Goethe die eigentlichen Ursachen der Revolution, und so konnte seine Gegnerschaft der Revolution nicht in der schlichten Verteidigung des Ancien régime begründet sein. In seiner Revolutionskomödie »Die Aufgeregten« läßt Goethe eine besonnene Gräfin auftreten, die er später in den Gesprächen mit Eckermann als Repräsentantin eines Adels, wie er sein sollte, bezeichnet:
Sie hat sich überzeugt, daß das Volk wohl zu drücken, aber nicht zu unterdrücken ist, und daß die revolutionären Aufstände der unteren Klassen eine Folge der Ungerechtigkeit der Großen sind
. Wenn es zum revolutionären Aufstand kommt, werden, aus Goethes Sicht, die Probleme nicht gelöst, sondern verschärft. Statt des Eigennutzes oben herrscht dann nämlich der Eigennutz von unten, der noch verhängnisvoller ist, weil er sich verbindet mit kulturloser Rohheit und angestautem Haß und Neid. Die Revolution ist für Goethe ein schreckliches Elementarereignis, eine Art Naturkatastrophe in der politischen Welt, ein Vulkanausbruch. Nicht zufällig beschäftigte er sich in den Monaten nach der Revolution mit dem Vulkanismus und dem Neptunismus, also mit der Kontroverse über die Rolle des Feuers und des Wassers bei der Entstehung der Erdoberfläche. Goethe bekannte sich zum Neptunismus, zur Theorie von der allmählichen Veränderung der Erdoberfläche durch die Ozeane. Das Allmähliche zog ihn an, das Plötzliche und Gewaltsame des vulkanischen Geschehens stieß ihn ab, in der Natur ebenso wie in der Gesellschaft. Er hielt es mit dem Evolutionären, nicht dem Revolutionären. Doch es war nicht allein das Forcierte der Revolution, was ihn schreckte.
Schrecklich ist ihm die Revolution, weil er sich keine Illusionen machte über die möglichen Konsequenzen dieser Ereignisse für ihn selbst. Er befürchtete, daß auch in Deutschland die gesellschaftliche Ordnung, die ihn schützte und privilegierte, unterminiert werden und schließlich zusammenbrechen könnte. Das weckte in ihm panische Ängste, ähnlich wie bereits einige Jahre zuvor die ›Halsbandaffäre‹ in Frankreich. Sie hatte einen
unaussprechlichen Eindruck
auf ihn gemacht, weil sie ihm die Dekadenz der gesellschaftlichen Elite und des Königtums offenbarte und den baldigen Zusammenbruch der bestehenden Ordnung ahnen ließ. Deshalb, schreibt er in den »Tag- und Jahres-Heften« zu 1789, habe er sich schon damals so betragen, daß er den Freunden
wie wahnsinnig vorgekommen sei.
Goethe empört sich über jene Freunde der Revolution, die von der alten Ordnung gut leben, aber daraus nicht die Konsequenz ziehen, sich zu denen loyal zu verhalten, die ihnen die Privilegien gewähren. Zu Herder, der zeitweilig auch zu diesen Revolutionsfreunden gehörte, sagte er selbstironisch und provozierend:
ich nehme jetzt die Grundsätze meines gnädigsten Herrn an, er gibt mir zu essen, es ist daher meine Schuldigkeit, daß ich
seiner Meinung
bin.
Noch viele Jahre später äußerte sich Goethe ärgerlich darüber,
daß man im Vaterlande sich spielend mit Gesinnungen unterhielt, welche eben auch uns ähnliche Schicksale vorbereiteten
. Weil er die Revolution als bedrohlich für die eigene gesellschaftliche und materielle Existenz empfand, war sie für ihn wirklich eine ernste Angelegenheit, jedenfalls zu ernst für das Spiel der politischen Meinungen. Und das war der zweite Aspekt des
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