Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Amtsmensch. Goethe hatte erkannt, wie wichtig es ist, die Sphären getrennt zu halten, indem man zwar aus dem Leben poetische Funken schlägt, aber umgekehrt der Poesie nicht erlaubt, das Leben zu beherrschen. Welche neue Einsicht eröffnet ihm dem gegenüber der Gedanke der Autonomie der Kunst, den er zusammen mit Moritz entwickelt?
Das Neue ist: Der Autonomiegedanke begründet vom Inneren der Kunst her, weshalb die Kunst und mit ihr das Künstlertum als eigene Sphäre, als eigene in sich geschlossene Welt, als ›nutzloses Ganzes‹, für sich bestehen soll und darf. Bisher war die Sphärentrennung zwischen Künstler und Amtsperson von der äußeren Lebenssituation erzwungen, jetzt ist sie von der inneren Natur der Kunst gefordert, aber doch so, daß die Kunst dabei nicht zur schönen Nebensache herabgestuft wird, sondern emporgehoben und in ihrem inneren Wert gesteigert wird. Bisher war es ein kränkender Vorwurf gewesen, daß die Kunst doch eigentlich ein nutzloses Geschäft sei. Die Autonomiegedanken lassen diese Kränkung verschwinden. Kunst ist ein in sich selbst sinnhaft geschlossener Kreis, der eben darum keinem anderen Zweck dient. Alle möglichen Zwecke sind in ihm versammelt. Die Kraftlinien der Intention führen in die Kunst hinein, nicht aus ihr heraus. Wo Kränkung war, soll Stolz werden: Die Kunst ist keinem dienstbar! Knebel, der Goethe nun wirklich sehr gut kannte, konstatiert verwundert: »Die Kunst hat ihn ganz eingenommen; er sieht solche als das Ziel aller menschlichen Erhöhung.« Das heißt: Goethe hat bis vor kurzem noch nicht so hoch von der Kunst gedacht. Nun ist sie für ihn in ihrem Rang gestiegen, auch wenn sie sich natürlich weiterhin mit anderen gewichtigen Lebensmächten arrangieren muß.
Diese Überzeugung, wonach der Künstler den höheren, aber für die sonstigen Geschäfte der Welt nutzlosen Menschen verkörpert, bedeutet für die Fertigstellung des »Tasso«, daß er beiden Recht geben kann, dem Künstler und dem Weltmenschen Antonio. Indem der Künstler in seinem Werk, und nur in ihm, einer autonomen höheren Sphäre angehört, werden die Rechte und die Klugheit der Weltgeschäfte nicht mehr angetastet. Man konkurriert nicht mehr um dasselbe Ideal. Der Künstler wird zugleich ermächtigt und entmachtet. Antonio über Tasso:
Ich kenn’ ihn lang’, er ist so leicht zu kennen, / Und ist zu stolz sich zu verbergen. Bald / Versinkt er in sich selbst, als wäre ganz / Die Welt in seinem Busen, er sich ganz / In seiner Welt genug, und alles rings / Umher verschwindet ihm. Er läßt es gehn, / Läßt’s fallen, stößt’s hinweg und ruht in sich – / Auf einmal, wie ein unbemerkter Funke / Die Mine zündet, sei es Freude, Leid, / Zorn oder Grille, heftig bricht er aus: / Dann will er Alles fassen, Alles halten, / Dann soll geschehn, was er sich denken mag; / In einem Augenblicke soll entstehn, / Was Jahre lang bereitet werden sollte, / In einem Augenblick gehoben sein, / Was Mühe kaum in Jahren lösen könnte. / Er fordert das Unmögliche von sich, / Damit er es von andern fordern dürfe.
In der Poesie ist alles möglich, auch das Unmögliche; in der Politik und den sonstigen Geschäften des Lebens hingegen geht es um die Kunst des Möglichen. Antonio wird insoweit Recht gegeben, als Tassos Übergriffe vom Reich der Poesie auf die anderen Bereiche des Wirklichen die innere Logik jener anderen Bereiche nicht respektieren. Das gilt nicht nur für die politische Sphäre, sondern auch die erotische. Die Prinzessin liebt Tasso, aber eben auf eine unkörperliche Weise. Das ist die Spielregel. Solange sie die verschwiegene Heldin seiner Gedichte ist, ist alles in bester Ordnung. Faßt Tasso sie aber nun wirklich an, gibt also seinem körperlichen Begehren nach, so ist das eben auch ein Übergriff aus der Poesie ins verkörperte Leben. Es geschieht in der vorletzten Szene. Tasso zur Prinzessin:
Ich fühle mich von aller Not entladen, / Frei wie ein Gott, und alles dank’ ich dir
! Er fühlt sich von seinem Gefühl ermächtigt, er fließt über,
unaufhaltsam dringt mein Herz dir zu
. Er fällt ihr in die Arme und sie stößt ihn zurück. In der letzten Szene zeigt sich ein Antonio, der durchaus bereit ist, das Genie Tassos anzuerkennen. Nach Tassos Wort:
Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, / Gab mir ein Gott, zu sagen wie ich leide
geht er auf Tasso zu und reicht ihm die Hand. Antonio bekommt nicht nur Gelegenheit zur Großmut, er darf sich auch als der Klügere zeigen, der
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