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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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bewunderte. Das modellhafte Bild abstrahierte sich Goethe aus dem Eindruck, den die Gräfin von Werthern-Beichlingen auf ihn machte:
Dieses kleine Wesen hat mich erleuchtet. Diese
hat Welt
oder vielmehr sie
hat die Welt,
sie weiß die
Welt zu behandlen
(la manier) sie ist wie Quecksilber das sich in einem Augenblicke tausendfach teilt und wieder in eine Kugel zusammenläuft. Sicher ihres Werts, ihres Rangs handelt sie zugleich mit einer Delikatesse und Aisance die man sehn muß um sie zu denken.
〈...〉
sie lebt nur unter den Menschen hin, und daraus entsteht eben die schöne Melodie die sie spielt daß sie nicht jeden Ton sondern nur die auserwählten berührt. Sie traktiert’s mit einer Leichtigkeit und einer anscheinenden Sorglosigkeit daß man sie für ein Kind halten sollte das nur auf dem Klaviere, ohne auf die Noten zu sehen, herumruschelt, und doch weiß sie immer was und wem sie spielt. Was in jeder Kunst das Genie ist, hat sie in der Kunst des Lebens.
Während man überall leidenschaftlich an Weltveränderung denkt, bemüht sich Goethe um Selbstveränderung. In der Kunst hat er
Genie
, das weiß er, was er noch besser lernen möchte, ist die
Kunst des Lebens
.
    In diesen politisch erregten Jahren war Goethe hin und her gerissen zwischen dem Verlangen nach Ruhe und Abschirmung, nach einem Ort
wo ich doch Haus und Garten zuschließen kann,
und einer Neugier, auch Abenteuerlust, bei großen Ereignissen dabei zu sein und ihnen standzuhalten. Einerseits sucht er nach einem Asyl gegen die Geschichte, andererseits treibt es ihn in die Geschichte hinaus, doch nicht, weil er dort Fortschritt erwartet, wie viele seiner Zeitgenossen. Er sucht in der Geschichte nicht den großen Sinn, sondern Zeugenschaft und Selbstbehauptung. Die Geschichte zieht ihn an, weil er sich ihr gegenüber bewähren will. Das unverwechselbar eigene Leben will er der Geschichte abtrotzen. Auf den Schlachtfeldern der Revolutionskriege lebt jene trotzige Kühnheit des ›Sturm und Drang‹-Gedichtes »An Schwager Kronos« wieder auf:
Spude dich Kronos / Fort den rasselnden Trott! / Berg ab gleitet der Weg /
〈...〉
/ Frisch, den holpernden / Stock, Wurzeln, Steine den Trott / Rasch ins Leben hinein. //
〈...〉
Trunknen vom letzten Strahl / Reiß mich, ein Feuermeer / Mir im schäumenden Aug, / Mich geblendeten, taumelnden, / In der Hölle nächtliches Tor. // Töne Schwager dein Horn / Raßle den schallenden Trab / Daß der Orkus vernehme: ein Fürst kommt.
    Im Frühjahr 1792 begann der erste Krieg der preußisch-österreichischen Allianz gegen das revolutionäre Frankreich. Die französische Nationalversammlung mußte in den unverhohlenen Kriegsvorbereitungen Preußens und Österreichs und in den Aktivitäten der Emigranten auf deutschem Boden eine solche Gefahr sehen, daß sie dem Gegner zuvorzukommen beschloß und am 20. April Österreich und dem mit ihm verbündeten Preußen den Krieg erklärte. Damit war auch für Herzog Karl August, inzwischen Generalmajor eines preußischen Kontingents, der Kriegsfall eingetreten. Er zog an der Spitze seines Kürassier-Regimentes ins Feld und äußerte den dringlichen Wunsch, sein Freund und Minister, Goethe, möge ihn begleiten. Dem konnte und wollte Goethe sich nicht entziehen. Er fühlte sich, nach Italien, in einer Dankesschuld dem Herzog gegenüber. Doch es lockte ihn auch
ins Weite
hinaus, zumal da auch er, wie die anderen, davon überzeugt war, es wäre ein leichtes, die französischen Truppen zu überrennen, von denen man vermutete, sie befänden sich wie die sonstigen politischen Verhältnisse in einem chaotisch desorganisierten Zustand. Er rechne damit, schreibt Goethe in einem seiner ersten Briefe vom Feldzug, daß man bald in Paris sein werde. Er verspricht Christiane, ihr das eine und andere
Krämchen
von dort mitzubringen.
    Es kam anders. Die französische Armee war tatsächlich schlecht vorbereitet. Die preußisch-österreichischen Truppen hätten die Gunst der Stunde für einen schnellen Angriff nutzen müssen. Aber man ließ sich Zeit, auch aus Überheblichkeit. Als man dann verspätet vorrückte, hatten die französischen Truppen sich gut formiert. Die Koalitionstruppen, zu denen Goethe Ende August 1792 stieß, waren über Longwy bis Verdun vorgestoßen, als der große Regen einsetzte:
Alles schilt auf den Jupiter Pluvius daß auch er ein Jacobiner geworden
.
    In der dreißig Jahre später verfaßten »Campagne in Frankreich 1792« schildert Goethe das ganze Elend dieses

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