Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Heerzuges, der im Schlamm stecken blieb. Der Proviantzug kam nicht durch und das Essen wurde knapp, die Soldaten schliefen in den Pfützen. Goethe hatte es besser, sein Feldbett stand im herzoglichen Zelt. Bei Verdun begann das heftige Geschützfeuer, man rückte noch vor bis Valmy, und hier kam es am 20. September zu der furchtbaren sich über mehrere Tage hinziehenden Kanonade. Goethe war nun nicht mehr der
müßige Zuschauer
, wie er sich noch am 10. September bezeichnet hatte. Er wagte sich zu Pferde in den Kugelhagel, den Warnungen der Offiziere zum Trotz. Er suchte die Todesgefahr. Später hat er das innere Erlebnis dieser Extremsituation im ruhig-sachlichen Stil seiner optischen Forschungen beschrieben, die er im übrigen auch während des Kriegszuges betrieb:
Unter diesen Umständen konnt’ ich jedoch bald bemerken daß etwas Ungewöhnliches in mir vorgehe; ich achtete genau darauf und doch würde sich die Empfindung nur gleichnisweise mitteilen lassen. Es schien als wäre man an einem sehr heißen Orte, und zugleich von derselben Hitze völlig durchdrungen, so daß man sich mit demselben Element, in welchem man sich befindet, vollkommen gleich fühlt. Die Augen verlieren nichts an ihrer Stärke, noch Deutlichkeit; aber es ist doch als wenn die Welt einen gewissen braunrötlichen Ton hätte, der den Zustand so wie die Gegenstände noch apprehensiver macht. Von Bewegung des Blutes habe ich nichts bemerken können, sondern mir schien vielmehr alles in jener Glut verschlungen zu sein. Hieraus erhellet nun in welchem Sinne man diesen Zustand ein Fieber nennen könne. Bemerkenswert bleibt es indessen, daß jenes gräßlich Bängliche nur durch die Ohren zu uns gebracht wird; denn der Kanonendonner, das Heulen, Pfeifen, Schmettern der Kugeln durch die Luft ist doch eigentlich Ursache an diesen Empfindungen.
Die Kanonade hörte auch in der Nacht nicht auf, ebensowenig wie der Regen, und man vergrub sich, nur mit einem Mantel zugedeckt, in der Erde, eine
voreilige Bestattung
. Bei dieser Kanonade von Valmy will Goethe den berühmten Satz geäußert haben:
von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt’ sagen, ihr seid dabei gewesen.
So berichtet er es in der »Campagne«, es gibt sonst kein Zeugnis dafür. Doch schrieb er damals direkt vom Schauplatz an Knebel in ähnlichem Sinne:
Es ist mir sehr lieb daß ich das alles mit Augen gesehen habe und daß ich, wenn von dieser wichtigen Epoche die Rede ist sagen kann: et quorum pars minima fui.
Nach Valmy war kein Weiterkommen. Die Koalitionstruppen versuchten erst gar nicht den Durchbruch. Der Rückzug begann, die Ordnung der Truppen löste sich vollends auf. Die Versorgung war katastrophal, man schlachtete die erschöpften Pferde. Die Ruhr ging um. Auch Goethe erkrankte. Die Wege waren verschlammt und verstopft, man wurde von nachrückenden französischen Truppen beschossen. Es war ein Inferno.
Und so will ich denn hier auch noch anführen, daß ich in diesem Elend das neckische Gelübde getan: man solle, wenn ich uns erlöst und mich wieder zu Hause sähe, von mir niemals wieder einen Klagelaut vernehmen über den meine freiere Zimmeraussicht beschränkenden Nachbargiebel, den ich vielmehr jetzt recht sehnlich zu erblicken wünsche; ferner wollt’ ich mich über Mißbehagen und Langeweile im Deutschen Theater nie wieder beklagen, wo man doch immer Gott danken könne unter Dach zu sein, was auch auf der Bühne vorgehe.
Über Luxemburg gelangte Goethe mit der flüchtenden Truppe bis Trier, wo er einstweilen in Sicherheit war.
Dieser Feldzug wird als eine der unglücklichsten Unternehmungen in den Jahrbüchern der Welt eine traurige Gestalt machen,
schrieb er Mitte Oktober an Voigt.
So viel zu den äußeren Ereignissen. Für Goethe war es wie Tod und Auferstehung, er fühlte sich
wie neugeboren.
Er fange erst wieder an,
gewahr zu werden daß ich ein Mensch bin
, schreibt er Mitte November. Nachdem das meiste überstanden ist, erlaubt er sich sogar einen stillen Triumph:
Wir haben in diesen sechs Wochen mehr Mühseligkeit, Not, Sorge, Elend, Gefahr ausgestanden und gesehen als in unserm ganzen Leben. Der Herzog ist recht wohl und ich habe mich auch gut gehalten.
Ursprünglich wollte er über Frankfurt nach Hause reisen. Der Besuch bei der Mutter auf dem Hinweg war zu kurz gewesen, man hatte sich ja seit dreizehn Jahren nicht mehr gesehen. Es gab auch sonst einiges zu bereden in Frankfurt, denn es hatte ihn die ehrende Anfrage
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