Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
beide Sphären überschaut, die der Poesie und die des praktischen Lebens, wohingegen Tasso stets in der Gefahr ist, in seiner Poesie zu versinken, die dadurch zum Wahn wird. Antonio zu Tasso:
Und wenn du ganz dich zu verlieren scheinst, / Vergleiche dich! Erkenne was du bist!
Tasso ist noch etwas anderes als seine poetische Existenz. Daran erinnert ihn Antonio:
Du bist so elend nicht, als wie du glaubst. / Ermanne dich! Du gibst zu viel dir nach.
Der Poet in Tasso ist wohl etwas Ganzes, er ist aber noch nicht der ganze Tasso. Das wirkliche Leben ist noch umfassender als das Leben der Poesie. Deshalb sucht Tasso am Ende Halt bei seinem Gegenspieler mit den Worten – es sind seine letzten:
So klammert sich der Schiffer endlich noch / Am Felsen fest, an dem er scheitern sollte.
Die Autonomie der Kunst, woran Goethe zusammen mit Moritz so großen Gefallen gefunden hatte, ist eine Formel der Ermächtigung im Sinne der Steigerung des künstlerischen Selbstgefühls. Sie wirkt, solange der Bannkreis der Kunst geschlossen ist, dann liegen alle Zwecke und jeder Sinn darin beschlossen, das spinozistische Ein und Alles. Doch wenn sich diese Sphäre öffnet, dann kann es geschehen, daß alles, was eben noch Sinn und Bedeutung hatte, in sich zusammensinkt, und dann kommt alles darauf an, ob man noch etwas anderes ist, als nur ein Poet. Dann braucht ein Tasso seinen Antonio, dann braucht der Poet seinen Geheimrat.
Goethe kehrt also aus Italien zurück mit gesteigertem künstlerischem Selbstgefühl, doch ohne Tassos Wahn. Mit anderen Worten, er will beides sein: Tasso, das poetische Genie, und Antonio, der kluge Weltmann. Erotisch heißt das: Nicht mehr nur die körperlose Seelenfreundschaft mit Charlotte von Stein, der er, wie er ihr einmal schrieb, seinen inneren Roman vorerzählt. Diese Freundschaft hätte er vielleicht noch eine Weile so fortgeführt, doch es mußte ein sinnlich erfülltes Liebesverhältnis hinzukommen. Zum Glück fand sich Christiane. Mit seiner poetischen Leidenschaft, schreibt er in der »Campagne in Frankreich«, wäre er am Ende alleine geblieben,
hätte mich nicht ein glückliches häusliches Verhältnis in dieser wunderlichen Epoche lieblich zu erquicken gewußt.
Im Frühjahr 1790 brach Goethe, auf Bitten des Herzogs, noch einmal nach Venedig auf, um Anna Amalia von dort aus auf ihrem Rückweg aus Italien zu begleiten. Das frühere Vergnügen des Italienreisenden wollte sich diesmal nicht einstellen, zu sehr zog es ihn zu seinem
häuslichen Verhältnis
zurück.
Übrigens muß ich im Vertrauen gestehen
, schreibt er an den Herzog,
daß meiner Liebe für Italien durch diese Reise ein tödlicher Stoß versetzt wird.
〈...〉
die erste Blüte der Neigung und Neugierde ist abgefallen
〈...〉
Dazu kommt meine Neigung zu dem zurückgelaßnen Erotio und zu dem kleinen Geschöpf in den Windeln.
Das Jahr 1791 konnte sich Goethe, ohne längere Reisen unternehmen zu müssen, recht ungestört seinem neuen
häuslichen Verhältnis
widmen. Das gemeinsame Leben mit Christiane im Jägerhaus vor den Toren der Stadt behagte ihm. An Knebel schreibt er am 20. März:
Mein Leben im Ganzen ist vergnüglich und gut, ich habe alle Ursache mit meiner Lage zufrieden zu sein und mir nur Dauer meines Zustandes zu wünschen.
Von Böttiger, der damals seine Stelle als Gymnasialdirektor in Weimar antrat, stammt die nicht sehr schmeichelhafte Schilderung von Goethes damaligen Lebensumständen: »Nichts ist einfacher, als seine jetzige Häuslichkeit. Abends sitzt er in einer wohlgeheizten Stube eine weiße Fuhrmannsmütze auf dem Kopf, ein Moltumjäckchen und lange Flauschpantalons an, in nieder getretnen Pantoffeln und herabhängenden Strümpfen im Lehnstuhl, während sein kleiner Junge auf seinen Knieen schaukelt. 〈...〉 auf der andern Seite die Donna Vulpia mit dem Strickstrumpf. Dies ist die Familiengruppe.«
Anmerkungen
Zwanzigstes Kapitel
Die Revolution – »dieses schrecklichste aller Ereignisse«.
Wider die allgemeine Politisierung. Goethes Lob der Beschränkung.
Im Krieg. Goethes neuer Realismus. Zurück in Weimar.
Revolution als Farce: »Der Bürgergeneral« und »Die Aufgeregten«.
Die Greuel von Mainz und »Reineke Fuchs«.
Goethe war aus Italien zurückgekehrt zu sehr günstigen Bedingungen. Der Herzog beließ ihm die Rechte des Amtes, erließ ihm aber einige Pflichten und erhöhte ihm zudem noch das Gehalt. Der Stuhl im Geheimen Consilium blieb frei, Goethe konnte die Sitzungen besuchen oder auch nicht.
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