Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
behindern die Selbstentwicklung. Darauf aber kommt alles an. »Wenn jeder mit seiner ganzen Kraft wirkt, so kann er dem andern nicht verborgen bleiben. Dies ist mein Plan.«
So geschah es. Schiller war Goethe nicht verborgen geblieben, und er hatte ihn schätzen gelernt. Schiller war für ihn nicht mehr nur der Autor der »Räuber«. Goethe als Intendant des Theaters konnte es sich gar nicht leisten, einen so bühnenwirksamen Autor nicht für die Bühne in Weimar gewinnen zu wollen. Er hatte inzwischen auch die Gedankenlyrik Schillers für sich entdeckt, gerade weil sie der eigenen Art so fern stand. Und Schillers historische Schriften galten ihm als Meisterwerke, nicht nur in der Sache, sondern auch im Stil. Dem Ästhetiker Schiller gegenüber war er noch im Zwiespalt. Einerseits hatte er, durch Fichte, einen besseren Zugang zum Philosophischen in Schillers Schriften gefunden; andererseits gab es, beispielsweise in Schillers Abhandlung »Über Anmut und Würde«
gewisse harte Stellen
, die er auf sich bezog und die ihn kränkten. Dabei handelte es sich wohl um jene Passage, wo Schiller Kritik übt an den sogenannten Natur-Genies. Was soll man mehr bewundern, fragt Schiller, die Kraft eines Geistes, der aus Freiheit eine womöglich widerständige Natur besiegt, oder das geborene Genie, das seine Werke keinem Widerstand abringen muß? Schiller favorisiert den Geist, der sich seinen Körper baut. Auch in geistigen Dingen sollte das Verdienst mehr gelten als das naturhafte Privileg. Diese Bemerkung konnte Goethe, den man häufig einen Günstling der Natur nannte und der sich auch so fühlte, durchaus auf sich beziehen. Vielleicht bezog er auch jene Sätze über die Dichtergenien auf sich, wo es heißt, ihr ganzes Talent sei die Jugend. »Ist aber der kurze Frühling vorbei, und fragt man nach den Früchten, die er hoffen ließ, so sind es schwammige und oft verkrüppelte Geburten, die ein mißgeleiteter blinder Bildungstrieb erzeugte.« Welche Stellen es genau waren, die Goethe auf sich bezog, wissen wir nicht. Fest steht jedenfalls, daß die Abhandlung »Über Anmut und Würde«, die Goethe in anderer Hinsicht schätzte und nutzte, einstweilen einer Annäherung noch im Wege stand. Doch dann erreichte ihn im Juni 1794 die von Schiller unterzeichnete Einladung, dem Herausgeberkreis der neu gegründeten Zeitschrift »Die Horen« beizutreten. Die Gruppe der Herausgeber, die sich um Schiller versammelte, bestand bis dahin aus Wilhelm von Humboldt, Fichte und Woltmann. Goethe mußte noch gewonnen werden.
Das Zeitschriftenprojekt hatte Schiller bei seiner Schwabenreise 1793 in Stuttgart mit dem Verleger Cotta verabredet. Es war ein ehrgeiziges Unternehmen, es sollte das Organ einer deutschen Kulturnation werden als Antwort auf die politische Nation des revolutionären Frankreichs. In der Einladungsschrift an Goethe wird diese Idee mit den Worten präzisiert: »So weit ist es noch nicht mit der Kultur der Deutschen gekommen, daß sich das, was den Besten gefällt, in jedermanns Händen finden sollte. Treten nun die vorzüglichsten Schriftsteller der Nation in eine literarische Assoziation zusammen, so vereinigen sie eben dadurch das vorher geteilt gewesene Publikum«. Das war nun also die ungezwungene Annäherung, die Schiller sich gewünscht hatte. Schiller bittet Goethe auf eine gemeinsame, eine repräsentative Bühne.
Mit der Zeitschrift wollte Schiller sein Ideal von Anmut und Würde zur Geltung bringen, deshalb sollte das literarisch Unterhaltsame geschmackvoll, und das Gelehrte geistreich dargeboten werden. Bloße Unterhaltung oder steifer Akademismus sollten ausgeschlossen bleiben. Besonders sympathisch mochte es Goethe vorgekommen sein, daß Schiller, der des Politisierens ebenso überdrüssig war wie Goethe, die »Horen« allen Themen öffnen wollte, nur nicht den politischen. Zwar wird Goethe selbst sich in seinen Beiträgen für die »Horen« nicht an diesen Grundsatz halten, und Schillers dort zuerst veröffentlichte »Ästhetische Briefe« sind ebenfalls politisch gerichtet, aber im Augenblick empfinden beide eine gewisse politische Enthaltsamkeit wohltuend für das geistige Leben.
Goethe antwortete nicht sofort, auch wenn er sogleich die sich bietende Gelegenheit sah, nicht nur dem allgemeinen literarischen Leben, sondern auch dem eigenen Schaffen neue Impulse geben zu können. Er durfte sich etwas davon versprechen, wenn ein Mann wie Schiller, ein Berufsschriftsteller mit vielfältigen Verbindungen und
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