Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
im Frühsommer 1794 Weimar besuchte, war von der freundschaftlichen Geselligkeit bei Goethe geradezu entzückt. »Goethe wandte sich zu mir,« erzählte er seiner Frau in einem Brief, »warum ich so schnell abreisen wollte; ich möchte ihm noch einen Tag schenken. 〈...〉 Ich ging mit Herder, um auf seiner Studierstube eine Pfeife mit ihm zu rauchen ... Wir wurden zum Tee gerufen, und fanden Wielands, Goethe, Böttiger und von Knebel. Man umringte mich, und wollte dies und jenes von meinen Untersuchungen über Homer hören. 〈...〉 Goethe kam, und drückte mir die Hand, und dankte für einen solchen Homer. Eben so Wieland 〈...〉 Bei Tische ging das Gespräch fort über Homers Gedichte und Zeitalter. 〈...〉 Ich mußte noch das homerische Haus erklären. Alles schien neu und befriedigend. Wir wurden ausgelassen fröhlich. Die Erzväter der Bibel wurden rezensiert mit unauslöschlichem Lachen, indem Herder komisch ihre Verteidigung übernahm. Dabei ward rechtschaffen gezecht, Steinwein und Punsch. Goethe saß neben mir; er war so aufgeräumt, als man ihn selten sehen soll. Nach Mitternacht gingen wir aus einander. Wieland herzte und küßte mich auf dem Wege.«
Was die Wissenschaft betrifft, worin Goethe Halt suchte, so bereitete sie ihm ein unerschöpfliches Vergnügen. Wenn ihm die Leute mit politischen Nachrichten und Meinungen kamen, erzählte er ihnen einiges über die Eingeweide des Frosches oder die Anatomie der Schnecke. Auch die Muskeln eines Ziegenkopfes ließen ihn nicht gleichgültig. Er entwarf Schemata für eine groß geplante Abhandlung über die Morphologie der Pflanzen- und Tierwelt. Mit spitzen Fingern zupfte er an den Samenhäutchen der Blüten, erkundete die Eigenschaften der Monokotyledonen. Von Goethe gedrängt, hatte der Herzog Geld bewilligt für die Einrichtung eines botanischen Gartens und Instituts in Jena. Der Biologe Karl Batsch war dafür berufen worden. Goethe hatte die Oberaufsicht, die er zeitweilig mit größerem Enthusiasmus wahrnahm als die Theaterdirektion.
Optik und Farbenlehre waren bei Goethe als neue Interessengebiete hinzugekommen. Den leitenden Gedanken der Farbenlehre, der bis zur Veröffentlichung des großen Werkes unverändert bleibt, hatte er während der Belagerung von Mainz im Sommer 1793 bereits formuliert.
1. Das Licht ist das einfachste, unzerlegteste, homogenste Wesen, das wir kennen. Es ist nicht zusammengesetzt.
2. Am allerwenigsten aus
farbigen
Lichtern. Jedes Licht, das eine Farbe angenommen hat, ist dunkler als das farblose Licht. Das Helle kann nicht aus Dunkelheit zusammengesetzt sein
. Es kann also nicht das helle Licht das Farbenspektrum in sich enthalten, wie Newton lehrt. Farben, so Goethe, entwickeln sich nicht
aus dem Licht
sondern
an dem Licht
, dort also, wo das Licht auf ein anderes Medium stößt. Das Licht ist ihm ein Urphänomen.
Die Aufsätze, die Goethe in der Gelehrtenwelt zirkulieren ließ, fanden wenig Zustimmung, auch nicht bei dem Göttinger Physiker Georg Christoph Lichtenberg, dem er einen Aufsatz über »Farbige Schatten« zusandte. Lichtenberg antwortete ihm ehrerbietig und witzig. Er ließ durchblicken, daß er Goethe für einen naiven Empiristen hielt. »Wir glauben jeden Augenblick«, schrieb er, »etwas zu empfinden was wir eigentlich bloß schließen.« Lichtenberg lobte Goethes Beobachtungen, schilderte aber andere Beobachtungen, die zu anderen Ergebnissen kommen, und nannte Bücher, die Goethe noch zu Rate ziehen sollte. Goethe hielt große Stücke auf Lichtenberg und verzieh ihm zunächst die Vorbehalte gegen seine Farbentheorie,
ich wünschte sehr daß dieser Mann meiner Unternehmung Freund bliebe wenn er auch sich von meiner Meinung nicht überreden konnte.
Doch als Lichtenberg später in seinem optischen Lehrbuch Goethes Forschungen nicht mit einem Wort erwähnte, war der Mann für ihn erledigt.
Bei seinen Naturforschungen mußte Goethe auf sich selbst vertrauen. Die wissenschaftliche Zunft erwies ihm äußerlich Respekt, doch in der Sache nahm sie ihn nicht ernst. Um sich Ärger zu ersparen, zog er auch hier, wie bei der Liebe und der Freundschaft, jenen ominösen
Kreis
um sich herum, damit ihm die Fachwelt nicht die
Phänomene
beschädigte, die er doch mit eigenen Augen zu sehen glaubte.
Was die Kunst betrifft – nach Liebe, Freundschaft und Wissenschaft die vierte Säule seiner Existenz – so nahm Goethe sich den »Wilhelm Meister« wieder vor; an Knebel schrieb er am 7. Dezember 1793:
Jetzt bin ich im
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