Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Gefühle in der Menschennatur dann und wann in Erfahrung gebracht, die hat er all mit einem bißchen Kot beklebt, um ja in der menschlichen Natur nichts Himmlisches zu lassen.« Die »Bekenntnisse einer schönen Seele« im sechsten Buch, wo für das Himmlische reichlich gesorgt ist, konnten Charlotte aber auch nicht befriedigen. So viel religiöse Erbaulichkeit nahm sie ihrem ehemaligen Geliebten einfach nicht ab und vermutete, daß er die entsprechenden Kapitel eingefügt habe, »weil diese Bogen auch bezahlt werden«.
Es gab aber auch Leute, die nur dieses Buch von der »schönen Seele« lasen und den Rest des Romans verbrannten, der Unsittlichkeit halber. So weit ging Goethes Schwager Schlosser zwar nicht, aber er bemerkte in einem Brief an seinen Schwiegersohn: »Ich kann noch nicht meinen Verdruß verbeißen, daß Goethe dieser reinen Seele einen Platz in seinem Bordell angewiesen hat, das nur zur Herberge dienen sollte für vagabondierendes Lumpengesindel.«
Die »Horen« mußten ohne den »Wilhelm Meister« ihr Fortkommen suchen, und das gelang nur noch für kurze Zeit. Nach Schillers Zerwürfnis mit den Gebrüdern Schlegel – vor allem August Wilhelm war ein fleißiger Mitarbeiter gewesen – war eine wichtige Stütze des ganzen Unternehmens weggebrochen. Fichte, Herder, Humboldt, Garve, Bürger und sogar Kant hatten Beiträge versprochen, aber nichts oder nur Geringfügiges geliefert. Goethe indes war fleißig gewesen. Nach den »Unterhaltungen« und den »Römischen Elegien« ließ er seine Übersetzung der Cellini-Autobiographie in Fortsetzung in den »Horen« erscheinen bis Anfang 1797. Danach steuerte er nichts mehr bei. Die Zeitschrift wurde zwar noch anderthalb Jahre fortgeführt, aber der Ehrgeiz des Anfangs war verschwunden. Es schlug die Stunde der Frauen. Schillers Schwägerin Karoline von Wolzogen, Louise Brachmann, Friederike Brun, Amalie von Imhoff, Sophie Mereau und Elsa von Recke bekamen ihre Auftritte. Goethe sprach ein wenig spöttisch vom
weiblichen Zeitalter
der »Horen«. Am 26. Januar 1798 meldete Schiller dem Freund das baldige Ableben der Zeitschrift, in deren Zeichen ihre Freundschaft begonnen hatte. »Wir werden, wie sich’s von selbst versteht, beim Aufhören keinen Eklat machen«, schreibt er. Wirklich? Halb ironisch, halb ernsthaft fährt der in Knalleffekten versierte Dramatiker fort: »Sonst hätten wir auch in dieses 12te Stück einen tollen politisch-religiösen Aufsatz können setzen lassen, der ein Verbot der Horen veranlaßt hätte, und wenn Sie mir einen solchen wissen, so ist noch Platz dafür.«
Etwas Entsprechendes aber ist Goethe wohl nicht eingefallen, und Schiller ist auch nicht mehr darauf zurückgekommen. So sind die »Horen« schließlich sanft entschlafen.
Anmerkungen
Dreiundzwanzigstes Kapitel
»Herrmann und Dorothea«. Leben trotz Geschichte.
Auf der Suche nach Grund und Boden. Schatzgräber.
Der Balladensommer. Auf »Nebelwegen«. Arbeit am »Faust«.
Reisevorbereitungen. Ein Autodafé. Eine Episode mit Hölderlin.
Die dritte Schweizer Reise. Das Grauen vor der »empirischen
Weltbreite« und seine Bewältigung.
Literarischer Streit kann wie ein reinigendes Gewitter wirken. Es mag dann ein neues Stück beginnen, doch nicht selten behaupten die Streithammel ihre Stellung. Deshalb muß man ihnen Gelegenheit geben, ihr Gift loszuwerden, weil sie vorher keine Ruhe geben. Wer
auf einigen Nachruhm Anspruch macht
, müsse seine Zeitgenossen zwingen,
alles
was sie gegen ihn in Petto haben, von sich zu geben, den Eindruck davon vertilgt er durch Gegenwart, Leben und Wirken jederzeit wieder
. Das schrieb Goethe an Schiller zu einem Zeitpunkt, da er drei Gesänge des Versepos »Herrmann und Dorothea« fertig hatte, eines Werkes, das nach dem »Werther« den größten Erfolg beim Publikum haben wird und sich deshalb wirklich dafür eignete, den
Eindruck
der üblen Anwürfe endgültig zu
vertilgen
.
Den Stoff zu diesem Epos hatte Goethe drei Jahre zuvor in einer Chronik der Vertreibung der Protestanten aus Salzburg 1731 gefunden. Dort wird von einem Burschen berichtet, der einem Flüchtlingsmädchen in der Not beisteht und sie dann zur Braut nimmt, wobei er seine Schüchternheit und den Widerstand des Vaters überwinden muß. Goethe überträgt diese Geschichte einer ungewöhnlichen Brautwahl in die Gegenwart der Revolutionskriege und Flüchtlingsströme. Er verwendet manches Detail aus der Chronik, zum Beispiel das Mißverständnis des Mädchens, das sich
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