Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
kein Rettungsmittel als die Liebe.
Kein großer Bedeutungsunterschied auf den ersten Blick. Aber charakteristisch ist es doch, daß es bei Schiller heißt »keine Freiheit« und bei Goethe
kein Rettungsmittel
. Bei Schiller drehte sich alles um die Freiheit. So kämpfte er auch um die Freiheit von Neid und Ressentiment, die letztlich nichts anderes sind als Selbstvergiftung. Die Liebe macht frei davon und die Freiheit wählt die Liebe. Das ist bei einem wie Schiller schon fast eine Strategie. Die Liebe als
Rettungsmittel
angesichts des Vortrefflichen, wie es bei Goethe heißt, hat mehr damit zu tun, daß die eigene Natur nicht negativ beeinträchtigt wird. Der eine verteidigt also mit der Liebe seine Freiheit, der andere seine bessere Natur, er kehrt durch Liebe zur Übereinstimmung mit sich selbst zurück. Es handelt sich um eine Differenz, die Goethe später in der Formel gefaßt hat, Schiller
predigte das Evangelium der Freiheit, ich wollte die Rechte der Natur nicht verkürzt wissen
.
Als Goethe 1793 wieder am Roman zu arbeiten begann, wußte er nicht, wie er ihn fortschreiben und zu welchem Ende er ihn bringen sollte. Diese Ungewißheit hielt an, als er bereits tief in der Arbeit steckte und das Ende des Romans eigentlich hätte absehbar sein müssen. Noch im Juni 1796, vier Wochen vor Beendigung des Romans, schrieb er an Schiller:
Der Roman rückt gut von der Stelle. Ich befinde mich in einer wahrhaft poetischen Stimmung denn ich weiß in mehr als Einem Sinne nicht recht was ich will noch soll.
Schiller kam aus dem Staunen nicht heraus, da es bei ihm selbst doch so ganz anders zuging: er mußte ein Werk präzise durchgeplant haben, ehe er sich daransetzte. Er konnte sich nicht, wie Goethe, einfach der
poetischen Stimmung
überlassen. Schiller mußte die Poesie kommandieren, Goethe ließ sich von ihr verführen. Er habe
dieses Werklein, so wie meine übrigen Sachen, als Nachtwandler geschrieben
, wird Goethe zwei Jahrzehnte später bekennen.
Goethe wußte also nicht genau, wie er den Roman enden sollte. Entschieden war nur, daß er nicht, wie der ursprüngliche Titel – »Theatralische Sendung« – nahelegte, mit Meisters Erfolg beim Theater abschließen würde. In dem Maße, wie Goethe als Weimarer Intendant in das Alltagsgeschäft des Theaters verwickelt war, erschien ihm eine Theaterkarriere für seinen Protagonisten nicht mehr attraktiv. Doch zu welcher anderen Meisterschaft sollten die Lehrjahre denn dann hinführen? Schiller stellte diese Frage, als die ersten beiden Bücher Anfang 1795 erschienen, und Goethe konnte darauf keine rechte Antwort geben. Doch hatte Schiller in seinen »Ästhetischen Briefen« nicht den Spielcharakter der Kunst hervorgehoben? Dieser Gedanke leuchtete Goethe ein, und er nahm ihn als Erlaubnis für jene poetische Lässigkeit, die mit dem Handlungsverlauf des Romans unentschieden tändelte. Wilhelm darf sich sogar, seinem Sohn Felix gegenüber, ausdrücklich zum Spiel als Lebensmaxime bekennen.
Du bist ein wahrer Mensch! rief Wilhelm aus, komm mein Sohn! komm mein Bruder, laß uns in der Welt zwecklos hinspielen, so gut wir können.
Diese Äußerung fällt im letzten Buch des Romans, zu einem Zeitpunkt, da Wilhelm zwar seine schauspielerischen Neigungen, doch offenbar nicht das Verspielte in seinem Wesen überwunden hat. Vom Ende aus wird deutlich, daß er eigentlich nie etwas anderes getan hat als – spielen. Das zeigt ein kurzer Rückblick: Begonnen hatte Wilhelm mit dem hölzernen Puppenspiel, das dem kleinen Jungen die Welt vorstellte. Mariane, die Geliebte, führt ihn in die wirkliche Theaterwelt ein, und auch nach der Trennung von ihr bleibt er dieser Welt verbunden. Statt für das Handelsgeschäft des Vaters Schulden einzutreiben, sammelt er eine Schar versprengter Schauspieler um sich und will selbst auch einer werden. Beim Theaterspiel glaubt er,
mit sich selbst auf die gelindeste Weise bekannt
zu werden, besser als im wirklichen Leben. Was sollte gegen ein Spiel einzuwenden sein, bei dem man sich selbst entdeckt? Nichts, nur daß man auf diese Weise nicht zum Schauspieler wird. Denn wer nur sich selbst spielt, ist ein schlechter Schauspieler. Das genau aber ist Wilhelms Fall, und darum nimmt er Abschied von der Schauspielwelt, nicht aber vom Spiel. Das setzt sich fort, da er ja bemerken muß, daß andere mit ihm spielen, während er selbst zu spielen glaubte. Als Wilhelm in Lotharios Reich die Turmgesellschaft kennen lernt, die ihn aus der Ferne offenbar
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