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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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zunächst nur als Magd gedungen fühlt. Wie in den »Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten« fliehen die Menschen vor dem anrückenden französischen Heer aus den rechtsrheinischen Gebieten. Sie kommen an einem vom Krieg glücklicherweise noch verschonten linksrheinischen Landstädtchen vorbei. Neugierige und hilfsbereite Bürger strömen hinzu, unter ihnen Herrmann, der tüchtige, aber schüchterne Sohn des Wirtes vom »Goldenen Löwen«. Ihm fällt eine schöne junge Frau ins Auge, Dorothea, die, selbst in Not, sich rührend um die anderen Notleidenden kümmert, und verliebt sich. Dem Vater zuhause ist Herrmann zu bescheiden, es mangele ihm an
Ehrgefühl
und er wolle ganz einfach nicht
höher hinauf
. Gekränkt zieht sich Herrmann zurück. Die Mutter sucht ihn und findet ihn, weinend unter einem Baum am entfernten Ende des Gartens. Er will sich zum Kriegsdienst melden. Die Mutter redet es ihm aus und ermuntert ihn, energischer um jenes Mädchen zu kämpfen, das er sich erwählt hat. Mutter und Sohn kehren zurück zur nachbarschaftlichen Runde, die noch immer beisammen sitzt. Es ist die Mutter, die Herrmanns Wahl zur Sprache bringt und erneut den Ärger des Vaters wachruft, der sich kein Flüchtlingsmädchen als Schwiegertochter wünscht. Doch die Mutter ist geschickt in diesen Dingen, der Widerstand des Vaters wird schwächer. Der Apotheker und der Pfarrer werden ausgeschickt, den Leumund der jungen Frau auszukundschaften. Sie bekommen nur Gutes zu hören, etwa daß Dorothea die ihr anvertrauten Kinder mit der Waffe gegen plündernde Soldaten verteidigt habe. Herrmann könnte jetzt seine Werbung vorbringen, aber schüchtern wie er ist, läßt er Dorothea in dem Glauben, sie werde als Magd angeworben. Dorothea glaubt, man treibe Spott mit ihr, als sie sich als Braut behandelt sieht. Nach solchen Mißverständnissen löst sich schließlich alles in Wohlgefallen auf. Die beiden gestehen sich ihre Liebe, und auch der Vater stimmt dem Bunde zu. Dorothea, die ihren ersten Verlobten, einen Freiheitskämpfer, unter der Guillotine in Paris verloren hat, flüchtet in die Arme Herrmanns, doch sie spürt noch das Beben der Geschichte:
So
scheint dem endlich gelandeten Schiffer / Auch der sicherste Grund des festesten Bodens zu schwanken
. Herrmann aber, in wenigen Stunden durch
wahre Neigung
zum Manne gereift, spricht die pathetischen Schlußworte:
Desto fester sei, bei der allgemeinen Erschüttrung, / Dorothea, der Bund! Wir wollen halten und dauern, / Fest uns halten und fest der schönen Güter Besitztum.
    Die idyllische Geschichte einer Brautwahl in schlimmen Zeiten – läßt sich daraus ein Versepos machen nach dem Vorbild Homers? Goethe nahm die Herausforderung an. Er wollte beweisen, daß es keiner großen Gegenstände bedarf, um einem Werk Größe zu geben. Schillers im Jahr zuvor erschienene Elegie »Der Spaziergang« endete mit dem Vers: »Und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt auch uns.« Daß die homerische Sonne tatsächlich noch scheint, dafür wollte Goethe mit »Herrmann und Dorothea« den Beweis antreten.
    Es traf sich gut, daß der sonst von ihm durchaus geschätzte Philologe Friedrich August Wolf soeben seine Forschungsergebnisse bekannt gemacht hatte, wonach die homerischen Epen nicht von einem einzigen Autor stammten, sondern eine Sammlung zahlreicher Gesänge verschiedener Autoren darstellten. Es gibt keinen Homer, nur Homeriden. Der philologische Bienenfließ hatte wieder einmal nicht Ruhe gegeben, bis alles kleingearbeitet war. Goethe konnte es eigentlich nicht leiden, wenn ihm etwas Ganzes in lauter kleine Elemente zerrieben wurde. Er spürte darin Ressentiment gegen das Große und Erhabene. Das Kleinmachen, Herunterziehen, Egalisieren, Kollektivieren paßte für ihn zum heraufkommenden Geist der Demokratie. Andererseits war diesmal doch auch ein Vorteil dabei. Denn mit einem Homer wird man sich nicht messen können, wohl aber mit einem Homeriden. So nutzte er die ganze gelehrte Verkleinerungswirtschaft und machte sich eben als ein Homeride ans Werk. Voß hatte mit seiner »Luise« das bürgerlich-idyllische Versepos im Geiste Homers schon einmal versucht. Goethe nun möchte Voß überbieten. Er habe mit der Sache angefangen, schreibt er Mitte 1796 an Schiller,
weil ich so etwas auch muß gemacht haben
. Diese Bemerkung kam ihm vielleicht zu salopp vor, und er strich sie aus der von ihm später herausgegebenen Ausgabe des Briefwechsels mit Schiller.
    Man merkt dem Werk das Vergnügen an, das es

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