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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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ihm bereitet haben muß, bürgerliche Verhältnisse und Charaktere homerisch einzukleiden. Da werden die Musen angerufen, obwohl man es nicht mit Achill und Hektor sondern mit Apothekern und Ackerbürgern zu tun hat, da sitzen die Zecher in der heißen Nachmittagssonne vor dem Gasthaus am Markt wie auf einem Olymp, da gleicht der cholerische Vater von Ferne dem leicht erregbaren Zeus, und der Pfarrer einem gemütlich gewordenen Teiresias, Herrmann peitscht die sich hoch aufbäumenden und schäumenden Rosse seines Zweispänners wie ein Achill und stützt am Ende in gehobenem
Mannesgefühl die Heldengröße des Weibes,
was bedeutet: Dorothea hat sich den Fuß vertreten. Die anmutige junge Frau wirkt wie eine Helena vom Lande. Der Leser soll auf Schritt und Tritt an das Homerische erinnert werden in dieser vertrauten Welt eines deutschen Landstädtchens. Das Nahe erglänzt unter einem fernen Licht, und das Ferne der Antike rückt in die Nähe. Goethe erlaubt sich ein ironisches Spiel mit dem bewunderten klassischen Altertum.
    Es ging ihm leicht von der Hand, die Heiterkeit bei der Arbeit verließ ihn keinen Augenblick. Schiller kam aus dem Staunen nicht heraus, und schrieb an Johann Heinrich Meyer: »Während wir andern mühselig sammeln und prüfen müssen, um etwas Leidliches langsam hervorzubringen, darf er nur leis an dem Baume schütteln, um sich die schönsten Früchte reif und schwer zufallen zu lassen. Es ist unglaublich, mit welcher Leichtigkeit er jetzt die Früchte eines wohlangewandten Lebens und einer anhaltenden Bildung an sich selber einerntet«.
    Auch in anderer Hinsicht erntete Goethe die schönsten Früchte. Er war sich ziemlich sicher, daß er mit diesem Werk den Geschmack des Publikums treffen würde, und daß mit einem buchhändlerischen Erfolg zu rechnen war. Den Verleger Johann Friedrich Vieweg irritierte er mit einer besonderen Art von Honorarverhandlung: seine Geldforderung deponierte er in einem versiegelten Kuvert. Falls der Verleger weniger böte, würden die Verhandlungen abgebrochen. Sollte der Verleger mehr bieten, würde nur das Geforderte zu zahlen sein. Goethe wollte wissen, wieviel er dem Verleger wert war und ob sich dessen Urteil mit seiner Selbsteinschätzung deckte. Die allerdings war nicht bescheiden. Er verlangte tausend Taler in Gold, das Zwanzigfache dessen, was zur selben Zeit Hölderlin für seinen »Hyperion« von Cotta erhielt. Vieweg bot genau die von Goethe verdeckt geforderte Summe, bekam das Werk und machte mit zahlreichen Sonder- und Schmuckausgaben ein gutes Geschäft. Das Büchlein war beim gebildeten Bürgertum ein beliebtes Geschenk für Brautleute.
In Herrmann und Dorothea habe ich
, schrieb Goethe Anfang 1798 an Schiller,
den Deutschen einmal ihren Willen getan und nun sind sie äußerst zufrieden
. Das Werk gefiel nicht nur den
lieben Deutschen
, es gefiel ihm selbst auch außerordentlich. Er konnte es noch viele Jahre später niemals lesen oder vorlesen, ohne in
große Rührung
zu geraten.
    Im letzten Gesang gedenkt Dorothea ihres früheren Bräutigams, der als Freiheitskämpfer sein Leben im revolutionären Paris verlor. Sie wiederholt das hochpathetische Vermächtnis, das er ihr hinterließ. Diese im Frühjahr 1797 verfaßten Verse zeigen, wie weit sich Goethe inzwischen von einem bloß polemischen Verhältnis zur Revolution gelöst hat und wie er in der Revolution noch etwas anderes zu sehen beginnt, eine elementare Schicksalsmacht, ein Erdbeben, das keinen Stein auf dem anderen läßt, eine menschlich-übermenschliche Naturkraft, die alles trennt und alles neu zusammenfügt:
denn Alles bewegt sich / Jetzt auf Erden einmal, es scheint sich Alles zu trennen. / Grundgesetze lösen sich auf der festesten Staaten, / Und es löst der Besitz sich los vom alten Besitzer, / Freund sich los von Freund; so löst sich Liebe von Liebe. /
〈...〉
Nur ein Fremdling, sagt man mit Recht, ist der Mensch hier auf Erden. / Mehr ein Fremdling als jemals, ist nun ein jeder geworden. / Uns gehört der Boden nicht mehr; es wandern die Schätze; / Gold und Silber schmilzt aus den alten heiligen Formen; / Alles regt sich, als wollte die Welt, die gestaltete, rückwärts / Lösen in Chaos und Nacht sich auf, und neu sich gestalten.
    Als Goethe diese Sätze schrieb über den
Boden
, der einem nicht mehr
gehört
, und über das Hinschmelzen von
Gold und Silber
, war er dabei, Ausschau zu halten nach Grundbesitz. Er rechnete mit einer Inflation in der Folge der Revolutionskriege, und

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