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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Untergang der alten Götter, die dem Eros freundlicher gesinnt waren, eine Klage also über die monotheistische Entzauberung der Welt.
Und der alten Götter bunt Gewimmel / Hat sogleich das stille Haus geleert, / Unsichtbar wird einer nur im Himmel, / Und ein Heiland wird am Kreuz verehrt
. Das erinnert an die Verse aus Schillers Elegie »Die Götter Griechenlandes«: »Alle jenen Blüten sind gefallen / Von des Nordes winterlichem Wehn. / Einen zu bereichern, unter allen, / Mußte diese Götterwelt vergehn
.
«
    Goethe nannte »Die Braut von Corinth« ironisch sein
Vampirsgedicht
. Als die Balladen dieses Sommers im Musenalmanach 1798 erschienen, wurden fast alle gelobt, besonders die Schillerschen. Doch »Die Braut von Corinth« war heftig umstritten. »Über nichts sind die Meinungen geteilter«, berichtet Böttiger, »als über Goethes ›Braut von Korinth‹. Während die eine Partei sie die ekelhafteste aller Bordellszenen nennt und die Entweihung des Christentums hoch aufnimmt, nennen andere sie das vollendetste aller kleinern Kunstwerke Goethes.«
    »Bordellszenen« wollten die Kritiker auch schon im »Wilhelm Meister« und in den »Römischen Elegien« entdeckt haben. Das konnte Goethe nicht mehr sonderlich ärgern. Der Gewinn des Balladen-Sommers lag für ihn auch darin, daß er bei dieser Gelegenheit das ominöse Paket von Notizen und Entwürfen zum »Faust« wieder aufschnüren mochte.
Unser
Balladenstudium
, schrieb er an Schiller,
hat mich wieder auf diesen Dunst und Nebelweg gebracht.
    Doch es war nicht nur das
Balladenstudium
, mit seinen
Nebelwegen
, was ihn darauf gebracht hatte. Der unfertige »Faust« lag ihm nun schon so lange auf der Seele, er mußte sich immer wieder damit beschäftigen, wenigstens für kurze Zeit, um sein künstlerisches Gewissen zu besänftigen. Auch kam das Stück immer dann auf den Tisch, wenn sich lebensgeschichtlich Bedeutsames ankündigte. So war es gewesen 1775 vor der Umsiedlung nach Weimar, dann 1786 vor der Abreise nach Italien und jetzt wieder im Frühsommer 1797. Bei solchen Umbrüchen wollte er regelmäßig auch mit dem »Faust« reinen Tisch machen. Der Frühsommer 1797 wurde zur »Faust«-Zeit, weil es so aussah, als könne er noch in diesem Sommer zu der lange geplanten dritten Italienreise aufbrechen. Meyer hatte er schon vorausgeschickt, der alle Orte und Sehenswürdigkeiten erkunden sollte, die man aufsuchen könnte. Diesmal sollte alles sehr genau geplant und organisiert werden. Von einem Aufbruch ins Ungewisse konnte nicht die Rede sein. Aus den Materialien dieser Reise sollte ein großes kulturhistorisches Werk über Italien entstehen, gemeinsam verfaßt von Meyer und ihm.
    Wenn auch diesmal der Aspekt der existentiellen Erneuerung nicht mehr im Vordergrund stand wie bei der ersten Italienreise, so war das Gefühl einer lebensgeschichtlichen Zäsur doch stark genug, um Goethe zu veranlassen, ein Testament zu machen und die Herausgeber seines Nachlasses zu bestimmen (dafür gewann er den Kollegen Voigt und den Freund Schiller). Das Kriegsgeschehen, das in Süddeutschland und Italien für Unruhe sorgte und jede Reise gefährlich machte, legte darüber hinaus den Gedanken nahe, das Haus zu bestellen, allein schon im Blick auf die Familie, denn Goethe war jetzt, anders als bei seiner ersten Reise, ein Familienvater, der für Weib und Kind zu sorgen hatte. Dazu gehörte auch, daß er sich in diesen Tagen einen Überblick über seine privaten Vermögensverhältnisse verschaffte, die nicht durchweg erfreulich waren. Die Schuldenlast war beträchtlich.
    Zum Gefühl der Lebenszäsur gehörte auch ein Autodafé. An den beiden ersten Sonntagen im Juli 1797 verbrannte Goethe die meisten der bis 1792 erhaltenen Briefe. Dem soeben ernannten Nachlaßverwalter Schiller gegenüber äußert er sich nicht dazu. Allzu Privates und manches Amtliche sollte offenbar den Blicken, auch denen des Freundes, entzogen bleiben.
    Es war wieder einmal der Moment einer
Häutung
, es war eine Stimmung des Abschieds, des Reinemachens und des Bilanzziehens, als Goethe seinen »Faust« hervorholte. Diesmal aber war es kein ungeduldiger Versuch, mit diesem sperrigen Werk endlich doch noch fertig zu werden; vielmehr suchte er, elegisch gestimmt, die Begegnung mit der eigenen Vergangenheit und mit der Geschichte seiner Obsessionen. Deutlich genug wird es ausgesprochen in dem Stanzen-Gedicht »Zueignung«, das dem Drama vorangestellt werden sollte und in diesen Wochen entstand, in einer Zeit

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