Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
nicht leicht, der Poesie treu zu bleiben.
Von Frankfurt aus kehren Christiane und August wieder nach Weimar zurück, während Goethe die Reise in den Süden fortsetzt. Er muß aber zuvor Christiane beruhigen, die in tausend Ängsten schwebt, er könnte ihr in Italien verloren gehen:
Du weißt überhaupt,
schreibt er ihr am 24. August,
und hast auch auf der letzten Reise gesehen, daß ich bei solchen Unternehmungen
sorgfältig und vorsichtig bin,
〈...〉
und ich kann dir wohl gewiß versichern, daß ich diesmal nicht nach Italien gehe.
Der Verzicht auf Italien ergab sich aus der militärisch-politischen Situation, denn im Spätsommer 1797 kam es in Oberitalien wieder zu kriegerischen Handlungen. Es war ganz einfach zu gefährlich, dorthin zu reisen.
In Stuttgart, der nächsten Station, sucht Goethe Umgang mit Schillers dortigen Freunden und Bekannten.
Ihrer
〈...〉
erinnert man sich mit viel Liebe und Freude ja, ich darf wohl sagen, mit Enthusiasmus
, schreibt er ihm. Schiller ist gerührt und gerät ins Träumen: »Was hätte ich vor 16 Jahren darum gegeben, Ihnen auf diesem Boden zu begegnen, und wie wunderbar wird mir’s, wenn ich die Zustände und Stimmungen welche dieses Local mir zurückruft, mit unserm gegenwärtigen Verhältnis zusammen denke.« Goethe aber ergeht es anders. Er begegnet dort Leuten, die sich schwärmerisch an den Schiller der »Räuber«-Zeit erinnern, und darum schreibt Goethe dem Freund:
Für uns beide, glaub ich, war es ein Vorteil, daß wir
später und gebildeter zusammentrafen
.
Über Tübingen und Schaffhausen reist Goethe weiter nach Zürich. Dort trifft er den aus Italien kommenden Meyer. Anders als bei seinen früheren Besuchen, gefällt es ihm diesmal nicht in Zürich. In einer Gasse begegnet er, wie schon erwähnt, einem hageren, gebeugten Mann. Es ist Lavater. Einst war er seinetwegen nach Zürich gereist, jetzt meidet er die Begegnung. Zum Glück erkennt Lavater den korpulent gewordenen Goethe nicht, und der drückt sich unbemerkt an ihm vorbei. Diese Geschichte ist zu Ende.
Von Italien kommen schlechte Nachrichten. Wie man hört, läßt der General Bonaparte Kunstschätze, die Goethe zusammen mit Meyer besehen wollte, nach Paris schaffen. Hätte Goethe nicht schon zuvor von seinen Italien-Plänen Abschied genommen, so würde er es jetzt getan haben. Doch er möchte auch diesmal wieder zum Gotthardpaß hinauf, dort oben, am Übergang nach Italien, kann man am besten Abschied nehmen von einem Süden, den man nicht mehr erreicht. Er erinnert sich an die erste Reise in die Schweiz, 1775. Es war, so kommt es ihm jetzt vor, das Ende seiner Jugend gewesen;
ich fühlte
, schreibt er an Schiller,
ein wundersames Verlangen jene Erfahrungen zu wiederholen und zu rektifizieren.
Natürlich war er ein anderer geworden, doch er ist stolz, daß es ihm, dem Gealterten, immer noch gelingt, die Höhen des Gotthard zu erklimmen. Am Fuße des Gotthards, in Uri, entsteht ein Gedicht, das er am 17. Oktober einem Brief an Schiller beilegt:
War doch gestern dein Haupt noch so braun wie die Locke der Lieben / Deren holdes Gebild still aus der Ferne mir winkt; / Silbergrau bezeichnet dir früh der Schnee nun die Gipfel, / Der sich in stürmender Nacht dir um den Scheitel ergoß. / Jugend, ist ach! dem Alter so nah; durchs Leben verbunden, / Wie ein beweglicher Traum gestern und heute verband.
Auf der Paßhöhe des Gotthard ist der Herbergsvater immer noch dasselbe wie vor zwanzig Jahren. Nach dem Rückweg gelangt man wieder zum Ausgangspunkt, nach Stäfa am Zürichsee. Es war die Wilhelm Tell-Gegend, die man soeben durchwanderte. Man hatte die Rütliwiese passiert, wo es einst zum Schwur gegen die Tyrannei gekommen sein soll, man hatte Halt gemacht bei der Kapelle, die an Tells Sprung in die Freiheit erinnerte, man hatte Uri besucht, nach der Sage der Geburtsort Tells. Hier war Goethe die Idee zu einer Tell-Dichtung gekommen. Kein Drama, sondern ein Epos. Es handle sich, schreibt er an Schiller, um einen poetischen Stoff, der ihm
viel Zutrauen einflößt
. Goethes Tell-Idee zündet bei Schiller. »Wie sehr wünschte ich«, so Schiller an Goethe, »auch dieses Gedichtes wegen, bald wieder mit Ihnen vereinigt zu sein.« Noch vier Jahre wird Goethe an seinem »Tell« festhalten, bevor er ihn endlich Schiller überläßt.
Am 20. November 1797 traf Goethe wieder in Weimar ein, bei Regen und Wind. Christiane war erleichtert und begrüßte den Zurückgekehrten mit Champagner. Zwei Tage später
Weitere Kostenlose Bücher