Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
besuchte er schon wieder das Theater, nachdem die Geschenke verteilt und die Sammelstücke, Bilder und Steine, verstaut waren. Diese Reise war dann doch nicht die große Lebenszäsur, die Goethe sich erhofft hatte, wie immer, wenn es in Richtung Italien ging. Viel hatte sich einstweilen nicht verändert. Es war ja auch ganz gut auszuhalten.
Anmerkungen
Vierundzwanzigstes Kapitel
Poetische Quelle verstopft. Nachdenken über Gattungen:
Drama und Epos. »Propyläen«-Klassizismus. »Der Sammler und
die Seinigen«. Gegen Dilettantismus und falsche Wirklichkeitsnähe.
Theaterreform. Weimarer Dramaturgie. Übersetzung von Voltaires
»Mahomet«: eine Wiedergutmachung. Atheismusskandal
um Fichte. Zurück zu »Faust«.
Vor der Abreise in die Schweiz hatte Goethe das »Faust«-Paket aufgeschnürt; zu seiner eigenen Überraschung hatte er schnell wieder Feuer gefangen und einiges zustande gebracht. Dann hatte er die Sache zusammengepackt und sie auch nicht mit auf die Reise genommen. Zurückgekehrt, gingen ihm andere Pläne im Kopf herum; da war die alte Idee der Fortsetzung der »Ilias«, eine »Achilleis«, die das Schicksal des Helden bis zu seinem Tod erzählen sollte; da war das »Tell«-Epos, worüber er zwar gerne sprach, doch wovon noch keine Zeile zu Papier gebracht war.
In den Briefen an Schiller, der gerade mit Inspiration und Fleiß am »Wallenstein« arbeitete, klagte Goethe, hier in Weimar sei sein
produktives Ich, auf so manche angenehme und unangenehme Weise, beschränkt worden
. Er werde sobald wie möglich nach Jena herüberkommen. Er werde sogar seinen Kunstberater Meyer, der inzwischen bei ihm wohnt, zu Hause lassen, denn er habe die Erfahrung gemacht,
daß ich nur in einer absoluten Einsamkeit arbeiten kann, und daß nicht etwa nur das Gespräch, sondern sogar schon die häusliche Gegenwart geliebter und geschätzter Personen meine poetische Quellen ganzlich ableitet.
Doch die nächsten Monate kommt Goethe nicht von Weimar los, und da die
poetischen Quellen
offenbar nicht sprudeln, verlegt er sich aufs Nachdenken über die Eigenart seines Schaffens. Im
Ideenwechsel
mit Schiller will er sich über ein paar Dinge klar werden.
Schiller hatte ihm berichtet, wie sehr er vom »Wallenstein« seelisch mitgenommen wird, wie die Arbeit an einer Tragödie trotz artistischer Distanz doch immer etwas »angreifendes« für ihn hat. In seiner Antwort denkt Goethe über das eigene Verhältnis zum Tragischen nach:
Ich kenne mich zwar nicht selbst genug um zu wissen ob ich eine wahre Tragödie schreiben könnte, ich erschrecke aber bloß vor dem Unternehmen und bin beinahe überzeugt daß ich mich durch den bloßen Versuch zerstören könnte.
Zu dieser Zeit brütete Goethe beim »Faust« darüber, wie er seinem Protagonisten über die Gretchentragödie hinweghelfen könnte, denn es sträubte sich in ihm alles dagegen, das Stück mit der Kerkerszene enden zu lassen. Schiller äußert Zweifel, ob dem Freund die Tragödie wirklich »ihrer pathetischen Gewalt wegen« so zuwider sei und ob nicht äußerliche, eher technische Erfordernisse abstoßend wirken. Zum Beispiel, so Schiller, verlange die Tragödie eine strikte Konsequenz beim Aufbau, was Goethe zuwider sei, da sein poetisches Naturell sich »mit einer freieren Gemütlichkeit äußern will.« Goethe sei eher episch, nicht so sehr dramatisch gestimmt. Außerdem müsse ein Tragödiendichter stets den Effekt, den Eindruck beim Publikum im Auge haben und das, so Schiller, »geniert Sie«. Also nicht eigentlich das Tragische selbst widerstrebe Goethe, sondern die mit der Kunstform verbundenen dramaturgischen Erfordernisse.
Goethe hatte mit der Bemerkung über sein Verhältnis zum Tragischen einen existentiellen Aspekt zur Sprache gebracht, und es war Schiller, der das Problem auf die poetologische Ebene schob. Goethe war das ganz recht, er beharrte nicht darauf, sein Verhältnis zum Tragischen weiter zu erkunden: Das gehörte offenbar zu den Themen, die er über das Angedeutete hinaus lieber nicht berühren wollte, entsprechend der Warnung in einem seiner ersten Briefe an Schiller, man müsse sich bei ihm auf
eine Art Dunkelheit und Zaudern
gefaßt machen. Goethe, existentielle Direktheit meidend, machte den Vorschlag, das vor der Schweizerreise begonnene Gespräch über literarische Gattungsfragen fortzusetzen. Das war weniger heikel und doch für ihn von großem Interesse. Besonders die Frage nach der Unterscheidung des Epischen und Dramatischen hatten es ihm
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