Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
Vom Netzwerk:
Sprache des Verses zwingt zu einer Disziplin, die erst die Bedeutsamkeit hervortreibt. Als Schiller dabei ist, seinen »Wallenstein« zu versifizieren, schreibt er an Goethe: »Man sollte wirklich alles, was sich über das gemeine erheben muß, in Versen 〈...〉 konzipieren, denn das Platte kommt nirgends so ins Licht, als wenn es in gebundener Schreibart ausgesprochen wird.« In seiner Antwort wendet Goethe Schillers Beobachtung ins Grundsätzliche. Der Publikumsgeschmack, erklärt er, will es bequem haben und fordert deshalb Prosa, ein wahrhaft
s
e
lbstständiges Werk
aber die gebundene Rede, und daraus folgt:
Auf alle Fälle sind wir genötigt unser Jahrhundert zu vergessen wenn wir nach unsrer Überzeugung arbeiten wollen.
    Der Vers ist, gemessen am gewöhnlichen Leben, ebenso künstlich wie alles übrige, von den Kulissen bis zur Beleuchtung, von der Schminke bis zur zeitlich zusammengedrängten Handlung. Man sollte von der Oper lernen, meint Schiller. Sie sei beliebt und doch vollkommen antinaturalistisch. In der Oper lassen sich die Leute das Erhabene, Bizarre und Zauberhafte gefallen, ohne das Bühnengeschehen unmittelbar an der Realität zu messen. Nur ein ausgemachter Banause wird sich darüber wundern, daß die Akteure umständlich singen, statt ganz einfach mit einander zu reden. »In der Oper erläßt man wirklich jene servile Naturnachahmung«
,
schreibt Schiller, deshalb sollte man das Theater näher an die Oper heranrücken. Das ist ganz im Sinne Goethes, der sowieso eine Neigung zu Singspiel und Oper hat und gegenwärtig am Libretto für eine Fortsetzung der »Zauberflöte« arbeitet. Auch Schiller näherte sich mit seiner »Braut von Messina« dem Opernhaften, mit hoher Kunst zwar, doch verminderter Publikumswirkung.
    Naturalismus ist die eine Gefahr der Kunst; die andere ist
Unnatur
. Jener hat zu wenig, diese zu viel Form. Als abschreckendes Beispiel von Unnatur galt die klassische französische Tragödie, gegen die Lessing einst gekämpft hatte. Desto größer war Schillers Verwunderung, als Goethe kurz vor seinem Umzug nach Weimar mit der Übersetzung von Voltaires »Mahomet« begann, einem der Musterstücke der klassischen französischen Tragödie. Am 30. Januar 1800 fand zum Geburtstag der Herzogin die Uraufführung statt. Goethe bat Schiller, bei den Vorbereitungen mitzuwirken. Es war Schillers erste Arbeit in Weimar, ein Freundschaftsdienst, der ihm keine sonderliche Freude bereitete.
    Auch Goethe hatte sich nicht ganz freiwillig an die Übersetzung des Voltaire gemacht. Es war der Wunsch des Herzogs gewesen. Bisher hatte Goethe am Hoftheater frei schalten und walten können, aber jetzt wollte der Herzog dort auch einmal seinen Geschmack durchsetzen. Der Herzog hatte, auch Goethe zuliebe, sich auf die kulturellen Neuerungen eingelassen, auf die neuere Philosophie, auf Fichte etwa, der ihm noch Ärger machen wird; auf die neuere Theaterkunst, auf Schiller, mit dessen »Wallenstein« er nicht durchweg zufrieden war. An Goethe schrieb er: »Der Charakter des Helden, der meiner Meinung nach auch einer Verbesserung bedürfte, könnte gewiß 〈...〉 ständiger gemacht werden.« Eigentlich war das alles nicht so ganz nach seinem Geschmack. Er bevorzugte, standesbewußt wie er war, das große höfische Theater Frankreichs, die ehrfurchtgebietende Erhabenheit, die scharfen Kontraste und deutlichen Konturen, Oben und Unten, Gut und Böse streng getrennt, nicht diese schwankenden, rätselhaften, vergrübelten und gemischten Charaktere nach dem Vorbild Shakespeares, den er nicht mochte. Der Herzog hatte auch deshalb Voltaires »Mahomet« gewählt, weil ihm das Stück gut in die politische Landschaft zu passen schien.
    Bei Voltaire ist Mohammed ein Betrüger, der bei seinen Anhängern einen schrecklichen Fanatismus auslöst. Dies Motiv ließ sich in Parallele setzen zu den jakobinischen Ideologen und Volksverführern, ja sogar zu Napoleon, der auch wie ein Komet am Himmel der europäischen Politik aufgestiegen war, von Sieg zu Sieg eilte, und eine ganze Nation zu unvernünftigen Leidenschaften hinriß. Mit dem klassischen Theater der Franzosen gegen das neuere französische Unwesen anzugehen, das war des Herzogs Idee bei diesem Unternehmen, dem Goethe sich nicht entziehen wollte. Unumwunden erklärte er, daß es Dankbarkeit dem Herzog gegenüber gewesen war, was ihn zu dieser Arbeit bewogen hatte. Goethe fühlte sich zur Zeit dem Herzog noch ganz besonders verpflichtet, weil er etwas

Weitere Kostenlose Bücher