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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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adligen und bürgerlichen Kreisen die Laienkunst mächtig auf, in Weimar bei der Hofgesellschaft, in Jena beim Bürgertum. Überall wurde aquarelliert, wurden Scherenschnitte gefertigt, wurde gedichtet und gereimt, gesungen und musiziert. Besonders das Theater stand hoch im Kurs. Man wollte selbst auf der Bühne spielen, man wollte sich selbst spielen. Vergessen wir nicht: Goethes »Iphigenie« war zum ersten Mal aufgeführt worden vom Weimarer Liebhabertheater. Sogar der junge Herzog spielte mit. Doch seit Goethe Anfang der neunziger Jahre die Leitung des Theaters in Weimar übernahm, achtete er sehr auf Professionalität. Der Dilettantismus kann an die Kunst heranführen, das wußte Goethe, er hatte es bei der Malerei, die auch er nur dilettantisch betrieb, selbst erfahren. Dilettantismus ist also hilfreich, doch nur, wenn er sich nicht mit der regelgerechten Kunst verwechselt. Goethe verglich sich gerne mit einem Gärtner, der hegt und pflegt und Unkraut jätet, anders als Schiller, der als Berufsschriftsteller seine Standesehre verteidigte. Goethe wollte die Dilettanten eher belehren, Schiller wollte sie zurückweisen, besonders wenn sie sich anmaßend als Kollegen aufspielten. In diesem Sinne waren für Schiller manche der Romantiker nichts anderes als Dilettanten. Nach dem Ende der »Horen« und der »Propyläen« fehlte nun aber auch die Kanzel, von der aus man abkanzeln konnte, und so blieb es, ohne weitere Ausarbeitung, bei dem »Allgemeinen Schema« zum Thema Dilettantismus.
    Als nächstes – Schiller war inzwischen nach Weimar umgezogen – widmeten sich die Freunde der zuvor schon anvisierten Aufgabe einer Theaterreform, der Weimarer Dramaturgie. Es handelt sich dabei um eine Anwendung ihrer Prinzipien bezüglich
Naturwahrheit
und
Kunstwahrheit
auf die praktische Theaterarbeit. Man konnte auf gemeinsame Überlegungen zurückgreifen, aber auch auf das Beispiel vor allem der Schillerschen Dramen.
    Der erste Grundsatz: Auch für die Theaterkunst gilt, was Goethe in der Einleitung zu den »Propyläen« über den Maler schreibt,
daß er sich an die Natur halten, sie studieren, sie nachbilden, etwas, das ihren Erscheinungen ähnlich ist, hervorbringen solle.
Das Theater soll sich nach der Natur richten.
    Doch soll, zweitens, die Orientierung an der Natur unter dem Formgesetz der Kunst stehen, die ihren besonderen Sinnzusammenhang bildet, ein Reich eigener Ordnung.
Naturwahrheit
also wird zur
Kunstwahrheit
. In der »Propyläen«-Einleitung hatte Goethe diesen Grundsatz so formuliert:
Indem der Künstler
irgend einen Gegenstand der Natur ergreift, so gehört dieser schon nicht mehr der Natur an, ja man kann sagen: daß der Künstler ihn in diesem Augenblicke erschaffe, indem er ihm das Bedeutende, Charakteristische, Interessante, abgewinnt, oder vielmehr erst den höhern Wert hineinlegt
. Das geschieht durch das freie Spiel der
Einbildungskraft
. Kunstwahrheit ist also spielerisch gesteigerte Naturwahrheit.
    Der dritte, die künstlerische Technik betreffende Grundsatz lautet: Das Kunstwerk darf nicht seinen Kunstcharakter verleugnen. Das Ideal der Kunst ist nicht erreicht, wenn die Vögel nach den täuschend echt gemalten Trauben picken. Die wahrhafte Bühne, schreibt Schiller, gleiche dem »acherontschen Kahn, / Nur Schatten und Idole kann er tragen, / Und drängt das rohe Leben sich heran, / So droht das leichte Fahrzeug umzuschlagen, / Das nur die flüchtgen Geister fassen kann. / Der Schein soll nie die Wirklichkeit erreichen, / Und siegt Natur, so muß die Kunst entweichen.« Um den falschen Sieg der Natur zu verhindern, setzt Goethe auf eine Art Verfremdungstechnik durch explizite Künstlichkeit, die allein schon durch den Vers zustande kommt, und Schiller ergänzt, das Kunstwerk kündige »nichts als eine Fabel an / Und weiß durch tiefe Wahrheit zu entzücken, / Die falsche stellt sich wahr, um zu berücken.« Die vordringliche Aufgabe bei der Reinigung der Theaterkunst: Kampf gegen den
Naturalismus.
    Bei dem Versuch, den Vers auf der Bühne zu etablieren, meldet sich die naturalistische Kritik in ihrer schlichtesten Form: die Menschen, so lautet der Einwand, reden doch nicht so gekünstelt, man lasse sie reden wie im wirklichen Leben. Dagegen beharren Goethe und Schiller auf der durch Rhythmus und Reim gesteigerten Sprache, gerade ihrer Künstlichkeit wegen. Dadurch wird die realistische Illusion durchbrochen. Auf der Bühne soll eben nicht so geredet werden wie sonst im Leben. Die ungewöhnliche

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