Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
wiedergutzumachen hatte. Der Herzog gab nämlich Goethe eine Mitschuld an einer Affäre, die ärgerliches Aufsehen erregt und mit der Entlassung Fichtes geendet hatte.
Im Dezember 1798 erschien in dem von Fichte herausgegebenen »Philosophischen Journal« Friedrich Karl Forbergs Abhandlung über die »Entwicklung des Begriffs der Religion«, worin ausdrücklich der Gott der Offenbarung zurückgewiesen und die Religion allein auf die Ethik gegründet wurde. Obwohl Forberg nicht anders argumentierte als sein Lehrer Kant, hatte Fichte, Schlimmes befürchtend, der Veröffentlichung eine eigene kleine Abhandlung »Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung« vorangestellt, die den Vorwurf des Atheismus vorsorglich abwehren sollte. Darin wird der orthodoxe Glaube an einen Gott der Belohnung und Strafe als zutiefst irreligiös gebrandmarkt. Mit Gott läßt sich nicht rechnen, erklärte Fichte, er existiert nur in unseren unbedingten moralischen Entscheidungen. Diese Erklärungen machten alles noch schlimmer. In Kursachsen erschien eine anonyme Schrift, die Fichte und Forberg des Atheismus bezichtigte. Auf diese Denunziation hin verbot die kursächsische Regierung die Verbreitung der Zeitschrift in ihrem Gebiet und forderte die »Erhalter« der Universität Jena, also auch Karl August auf, die Schrift zu konfiszieren und die Verfasser zu bestrafen, andernfalls müßte den Landeskindern der Besuch der benachbarten Universität Jena verboten werden. Dem Herzog Karl August kam das sehr ungelegen, da er seinen Sohn, den Erbprinzen, mit einer Zarentochter zu verheiraten gedachte und deshalb auf seinen makellosen Ruf als Revolutionsgegner zu achten hatte. Er wollte Aufsehen vermeiden und die Angelegenheit möglichst geräuschlos erledigen, mit einem Verweis etwa und einer Aufforderung zu künftiger Vorsicht bei der öffentlichen Erörterung von Religionsfragen. Auf solche Vorsicht kam es dem Herzog an, der nun wirklich nicht fromm war. Religion erschien ihm nützlich für die Untertanen, die Gebildeten indes konnten untereinander reden, was sie wollen, bloß sollten sie nicht alles drucken lassen. Auf diese ihm vom Herzog zugemutete Unterscheidung zwischen esoterischer Kritik der Religion und exoterischer Anpassung wollte Fichte sich nicht einlassen, er trat mit lutherischem Pathos auf: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Als er dann in einem Schreiben an Voigt drohte, er werde im Falle eines Verweises um Demission nachsuchen, und andere Kollegen würden ihm nachfolgen, entschied man mit der Stimme Goethes, einen Verweis auszusprechen und die angekündigte Demission Fichtes anzunehmen.
Die Sache hatte ein für Fichte blamables Nachspiel. Denn nun erklärte er seinen Rücktritt vom angekündigten Rücktritt und bat darum, bleiben zu dürfen. In den Augen des Herzogs hatte er sich damit als Großsprecher und Feigling entlarvt; Fichte gehöre, schrieb er, zu denen, die »mit aller ihrer unendlichkeit 〈...〉 eine sehr eingeschränkte, an ihrem platz und einnahme hängende raçe« seien.
Goethe empfand Fichtes Auftrumpfen ebenfalls als ungehörig und stimmte seiner Entlassung zu, doch wohl war ihm bei der Sache nicht. An Schlosser schreibt er am 30. August 1799:
Was Fichten betrifft, so tut mir’s immer leid, daß wir ihn verlieren mußten, und daß seine törige Anmaßung ihn aus einer Existenz hinauswarf, die er auf dem weiten Erdenrund
〈...〉
nicht wieder finden wird.
〈...〉
Er ist gewiß einer der vorzüglichsten Köpfe; aber wie ich selbst fürchte für sich und die Welt verloren.
Die schriftlichen Unterlagen in dieser Angelegenheit, soweit sie in seinem Besitz waren, hat Goethe später vernichtet.
Goethe wußte, daß der Herzog diesmal sehr unzufrieden mit ihm war. Karl August hatte ihn spüren lassen, daß ihm die ganze Richtung in Jena inzwischen nicht mehr paßte. Fichte hielt er sowieso für einen Jakobiner reinsten Wassers, und er machte Goethe zum Vorwurf, sich für die Berufung Fichtes eingesetzt zu haben. Und er monierte gleich mit, daß Goethe sich überhaupt zu häufig mit fragwürdigen Leuten an der Universität abgebe. Der Herzog schrieb an den Ministerkollegen Voigt, der das Donnerwetter weiterleiten sollte: »Über Goethen habe ich wohl zehn mal mich halb zu schanden geärgert, der ordentl. Kindisch über das alberne kritische wesen ist, und einen solchen geschmack daran findet daß er den seinigen sehr darüber verdorben hat: er besieht dabei das Ding, und das ganze
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