Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Wilhelm, den älteren, hatte Schiller für die »Horen« gewonnen, und Schiller war es auch, der ihn mit Goethe bekannt machte. Im Sommer 1797 aber brach Schiller mit August Wilhelm, weil der Bruder Friedrich eine bissige Rezension der »Horen« veröffentlicht hatte. Zur selben Zeit, da die Verbindung mit Schiller einstweilen abriß, intensivierten die Brüder ihre Werbung um Goethe, der davon sehr angetan war. Der Höhepunkt der zahlreichen Huldigungen war erreicht mit Friedrich Schlegels Ausspruch, wonach die Französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre und Goethes Wilhelm Meister die größten Tendenzen des Jahrhunderts gewesen seien. Den ruhelosen und quirligen Friedrich konnte Goethe trotz solcher Lobeshymnen nicht so gut leiden und nannte ihn einmal eine wirkliche
Brennessel.
Mit ihm hatte er weniger persönlichen Umgang als mit August Wilhelm, der mehrere Jahre in Jena lebte, wo seine Frau Karoline ein belebtes Haus führte, das zum Mittelpunkt des ersten romantischen Kreises wurde. Tieck, Fichte, Schelling, Novalis gingen hier ein und aus. Friedrich war ein Feuerkopf, August Wilhelm indes gab sich als besonnener Gelehrter und versierter Literat. Er galt als Virtuose der Reim- und Verskunst. Goethe ließ sich von ihm in metrischen Fragen beraten und lobte seine Shakespeare-Übersetzungen. In den »Tag- und Jahres-Heften« zu 1799 heißt es über den Umgang mit August Wilhelm Schlegel:
Kein Augenblick ward müßig zugebracht, und man konnte schon auf viele Jahre hinaus ein geistiges gemeinsames Interesse vorhersehen
.
Goethe erzählte seinem Freund Schiller nichts davon, daß er sich bei der von den Schlegels 1798 begründeten Zeitschrift »Athenäum«, die Schiller für ihre »naseweise« und »einseitige« Manier rügte, als Ratgeber betätigte, wie er sich überhaupt damit schwer tat, zwischen den Romantikern, die ihn umschwärmten, und Schiller, der von ihnen nichts wissen wollte, zu vermitteln. Er versuchte den Freund zu besänftigen.
Was noch allenfalls zu Gunsten der Schlegel zu sagen wäre wollen wir auf eine mündliche Unterhandlung versparen.
Goethe lernte auch den jungen Tieck kennen, der ihm im Winter 1799 seine »Genoveva« vorlas, ein unvergeßliches Ereignis, von dem Goethe später erzählte:
Als er anfing, schlug es acht Uhr, als er aufhörte eilf Uhr, neun und zehn habe ich gar nicht schlagen hören.
Im Herbst 1799 hatte der Kreis der romantischen Freunde zu entscheiden, ob der wegen seiner katholisierenden und das Mittelalter verklärenden Tendenz provozierende Aufsatz von Novalis »Die Christenheit oder Europa« im »Athenäum« veröffentlicht werden sollte. Man stritt darüber, und da man sich nicht einigen konnte, rief man Goethe als Schiedsrichter an. Er empfahl, den Text nicht zu drucken, um keinen Vorwand zu Verleumdungen zu liefern. Man hatte soeben den Atheismusstreit um Fichte durchgestanden, darum sollte man sich jetzt lieber nicht dem möglichen Vorwurf des Obskurantismus aussetzen. Goethe scheute das Gespenst der Revolutionsmänner ebenso wie das der Dunkelmänner. Der Aufsatz von Novalis erschien also nicht im »Athenäum«.
Nach dieser Auseinandersetzung dauerte es nicht mehr lange, bis die freundschaftlichen Bande des Kreises zerrissen. Karoline Schlegel, die wesentlichen Anteil am inneren Zusammenhalt des Kreises hatte, verliebte sich in den zwölf Jahre jüngeren Schelling. Es kam zu heftigen Spannungen. Auf der einen Seite Friedrich Schlegel und seine Lebensgefährtin Dorothea Veit, die der Schwägerin Karoline die dominierende Rolle mißgönnte. Sie zogen auch Novalis, Tieck und Schleiermacher zu sich herüber. Auf der anderen Seite Schelling, Karoline und ihre Tochter aus erster Ehe, die sechzehnjährige hochbegabte Auguste, die auch ein wenig in Schelling verliebt war. Dazwischen August Wilhelm Schlegel, der nicht leidenschaftlich genug war, um eifersüchtig zu sein, und deshalb eher zu vermitteln versuchte. In Jena redete man über diese unübersichtlichen Verhältnisse und sah sich in den Vorurteilen bestätigt, daß es im Hause Schlegel verrückt zuginge. Zum Skandal wuchs sich die Geschichte vollends aus, als Karoline nach einer überstandenen schweren Krankheit mit Schelling und der Tochter im Mai 1800 zur Kur in Bad Bocklet bei Kissingen weilte und die plötzlich schwer erkrankte Auguste nach wenigen Tagen starb. In Jena zirkulierte das Gerücht, Schelling habe mit dilettantischen, naturphilosophisch inspirierten Heilversuchen Augustes Tod verursacht.
Weitere Kostenlose Bücher