Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
Vom Netzwerk:
Mal eine systematisch betriebene politische Propaganda zu mobilisierenden Zwecken. Der große Fichte, in dieser Sache zuerst mit den »Reden an die deutsche Nation« hervorgetreten, bietet sich als Feldprediger im preußischen Hauptquartier an; er wäre, hätte man sein Angebot angenommen, der erste Politkommissar geworden, wobei er sich persönlich den Rückzug in die Welt des reinen Begriffs offenzuhalten gedachte. Weder das eine noch das andere trat ein; denn im Januar 1814 starb der wackere Mann am Nervenfieber, das die Verwundeten des Befreiungskrieges eingeschleppt hatten. Es gab in diesen Wochen und Monaten nicht nur patriotische Begeisterung, man schritt auch zur Tat, und es wurden tatsächlich Freiwilligen-Verbände aufgestellt. Das später so berühmte Lützowsche Freikorps war eine solche aus Freiwilligen der deutschen Länder gebildete, partisanenartig operierende Truppe, militärisch bedeutungslos, aber – mit ihren schwarz-rot-goldenen Uniformstücken – symbolträchtig.
    In diesem ereignisreichen und wegen der Einquartierungen beschwerlichen Jahr verließ Goethe Weimar bereits Mitte April, fast fluchtartig. Diesmal reiste er wie im Vorjahr zum Kuraufenthalt nach Teplitz, in der Nähe von Marienbad. Er hatte sich aus Sicherheitsgründen verkleidet und wurde doch von Freikorpsleuten erkannt, denen er mit einem poetischen Spruch die Waffen segnen mußte. In Dresden erblickte er aus der Ferne Napoleon, der die Befestigungsanlagen inspizierte. Zu Gast bei den Körners begegnete ihm der Sohn des Hauses, der junge Theodor Körner, der zum Lützower Freikorps gehörte und schon berühmt war wegen seiner Soldatenlieder. Man sprach über die gegenwärtige Erhebung und die starken Gefühle beim Kampf gegen Napoleon. Goethe blieb zunächst stumm und knurrte dann:
Schüttelt nur an Euren Ketten, der Mann ist Euch zu groß, Ihr werdet sie nicht zerbrechen.
    Bis ins sonst stille Teplitz drang der Kriegslärm, und man sah sogar nachts
die Feuerzeichen am Himmel
〈...〉
, wenn irgend ein unglücklicher Ort brennt, da man von lauter Flüchtigen, Blessierten, Geängstigten umgeben ist, so sucht man gern in die Weite zu kommen.
    Im August kehrt er wieder nach Weimar zurück. Er wollte Christiane doch nicht so lange alleine lassen. Am 16. Oktober 1813, dem Tag der Viervölkerschlacht von Leipzig, die mit der Niederlage Napoleons endete, geschah in Goethes Arbeitsstube etwas Seltsames. Ein gipsernes Basrelief Napoleons, das neben seinem Schreibtisch hing, fiel ohne ersichtlichen Grund zu Boden und blieb weitgehend unbeschädigt. Dieses Relief behielt fortan seinen Ehrenplatz, auch nach der Vertreibung des Kaisers.
    Den vaterländischen Gemeinschaftsgefühlen traute Goethe nicht. Als am Ende des Jahres die siegreichen Koalitionstruppen nach Frankreich einrückten, schrieb er an Knebel, er habe die Deutschen noch nie enger
verbunden gesehen als im Haß gegen Napoleon. Ich will nur sehen was sie anfangen werden, wenn dieser über den Rhein gebannt ist.
Wenn sich die große Menge den politischen und militärischen Leidenschaften hingebe, dürfe man nicht darauf verzichten, die
Freunde der Wissenschaft und Kunst, die zu Hause bleiben, aufzufordern, daß sie das heilige Feuer, welches die nächste Generation so nötig haben wird, und wäre es auch nur unter der Asche, erhalten mögen
.
    Goethe wünschte, daß auch der Sohn August, der sich wie die anderen zu den Freiwilligen gemeldet hatte, zu Hause bliebe. Er erwirkte beim Herzog, daß August eine ungefährliche Verwendung fand als Schreiber beim Hauptquartier in Frankfurt. Das war nicht nach dem Wunsch des Sohnes, der befürchtete, daß er als Drückeberger und Feigling erscheinen würde. Und so geschah es denn auch. Als August von Frankfurt wieder nach Weimar zurückkehrte, wurde er scheel angesehen, verspottet und beleidigt. Fast wäre es zu einem Duell gekommen. Wieder war es der Vater, der es zu verhindern wußte. Dies alles hat den Sohn tief verletzt, und er wird es nie ganz verwinden. Er fühlte sich daran gehindert, seine Mannhaftigkeit zu beweisen, und so blieb er der Sohn eines übermächtigen Vaters, der nicht aus dessen Schatten heraustreten konnte. Der Vater aber war froh, den Sohn, den er mittlerweile auch als Sekretär gebrauchte, heil zurückbekommen zu haben.
    Auch wenn ihn die Siege über Napoleon nicht erfreuten und ihm die ganze patriotische Richtung nicht paßte, so war Goethe doch geschäftstüchtig genug, wenige Tage nach der Schlacht von Leipzig dem

Weitere Kostenlose Bücher