Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Beendigung des Frankreichfeldzugs 1814 –, stießen sie doch auf großes Interesse bei der Leserschaft. Vielleicht lag das auch gerade daran, daß man sich ganz gerne an die alten Zeiten erinnern ließ, vielleicht auch an die eigene Jugendzeit. Das war jedenfalls die Wirkung, die Goethe bei den Lesern vermutete. Was kann man einem Buch besseres wünschen als einen Leser, der sich dadurch veranlaßt fühlt, in seinem eigenen Leben zu lesen. An Reinhard, der ihm im Anschluß der Lektüre von »Dichtung und Wahrheit« eigene Jugenderlebnisse schilderte, schrieb Goethe:
Bei der Art, wie ich die Sache behandle, mußte notwendig die Wirkung erscheinen, daß jeder, der das Büchlein liest, mit Gewalt auf sich selbst und seine jüngern Jahre zurückgeführt wird.
Der Tod Schillers, der Tod Anna Amalias und der Tod der Mutter, diese Abschiede hatten Anlaß zum Rückblick gegeben und damit letztlich auch zur Autobiographie. Als Goethe am dritten Teil schrieb, gab es wieder einen Abschied, der eine ganze Epoche abschloß. Am 20. Januar 1813 starb Wieland.
Siebenunddreißig Jahre, mehr als ein halbes Menschenleben, hatte man nahe beieinander gelebt. Einst hatte Goethe in jugendlichem Übermut den um fünfzehn Jahre älteren und schon berühmten Wieland satirisch als schwächliche Natur verspottet, die sich anmaßt, die antiken Kraftkerle zu schulmeistern. Doch noch vor der Übersiedlung nach Weimar hatte er sich sogleich beflissen entschuldigt. In Weimar eroberte er dann das Herz Wielands im Sturm. Wieland hatte ihn einen »herrlichen Menschen« genannt und bekannt, er sei ganz »verliebt« in ihn. Zu Wieland knüpfte sich das Freundschaftsband nie so eng wie zu Herder, dafür aber gab es zwischen den beiden auch nicht dieses dramatische Auf und Ab von Nähe und Entfremdung, wie bei Herder. Man war sich gleichmäßig wohlgesinnt. Wieland bewunderte Goethe ohne Neid, und Goethe achtete Wieland und vertraute ihm vorbehaltlos. Er sah in ihm einen Menschen von großer Liberalität und Beweglichkeit und von festen Grundsätzen. In einer großen Totenrede, zum ersten Mal vorgetragen bei einer Versammlung der Logenbrüder, gedachte Goethe in berührenden Worten des Verstorbenen.
Der geistreiche Mann spielte gerne mit seinen Meinungen, aber, ich kann alle Mitlebenden als Zeugen auffordern, niemals mit seinen Gesinnungen. Und so erwarb er sich viele Freunde, und erhielt sie.
Diese Bemerkung war gegen das Vorurteil vom frivolen, unzuverlässigen und bloß geistreichen Weltmann gerichtet. Wieland liebte seine Freiheit über alles, und er nutzte sie zum Schaffen. Was Goethe ihm besonders hoch anrechnete: Wieland ließ die anderen gelten, förderte sie und bewies Mut auch vor den Freunden, wenn es etwas zu kritisieren gab. Das hatte Goethe selbst erfahren, denn mit seinen schwächlichen Revolutionsstücken konnte er bei Wieland, welcher der bessere politische Kopf war, keinen Eindruck machen, und der ließ es ihn auch spüren. In seiner Totenrede rühmt Goethe ausdrücklich Wielands großen politischen Verstand. Voller
Bewunderung
habe er verfolgt,
mit welcher Aufmerksamkeit er den raschen Begebenheiten des Tags folgte, und mit welcher Klugheit er sich als ein deutscher, und als ein denkender teilnehmender Mann durchaus benommen hat.
Noch anderes kommt rühmend zur Sprache, etwa Wielands Verdienst um einen eleganten deutschen Literaturstil, die Schönheit, Grazie und Anmut seiner Versepen, sein freies, undoktrinäres Philosophieren. Doch über alles schätzte Goethe an Wieland seine Großzügigkeit, jene seltene Eigenschaft, sich aufrichtig freuen zu können über das, was anderen gelang. Das vermag nur ein weiser Mensch, der mit Heiterkeit und Wohlwollen die Mitmenschen ansieht. Goethes Totenrede auf Wieland hat einen elegischen Ton, doch auch etwas Helles ist darin, vielleicht ein wenig von der ernsten
Heiterkeit
, die er an Wieland rühmte.
Goethe ging auch diesmal nicht zur Beerdigung und nahm auch nicht Abschied vom aufgebahrten Toten:
Warum
, sagte er zu Falk am Tage der Beerdigung,
soll ich mir die lieblichen Eindrücke von den Gesichtszügen meiner Freunde und Freundinnen durch die Entstellungen einer Maske zerstören lassen?
〈...〉
Der Tod ist ein sehr mittelmäßiger Porträtmaler. Ich meinerseits will ein seelenvolleres Bild
〈...〉
von meinen sämtlichen Freunden im Gedächtnis aufbewahren. Also bitte ich es Euch, wenn es dahin kommen sollte, auch einmal mit mir zu halten.
〈...〉
Die Paraden im Tode sind nicht das,
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