Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Glaubens an irgendwelche Dogmen, sondern der Erfahrung. Das entfernt Goethe von den Glaubensgemeinschaften, in denen der Einzelne das Göttliche nicht in sich selbst findet, sondern einer äußeren Offenbarung aufs Wort glauben muß.
Es gibt nur zwei wahre Religionen; die eine, die das Heilige, das in und um uns wohnt, ganz formlos, die andere die es in der schönsten Form anerkennt und anbetet. Alles was dazwischen liegt ist Götzendienst
.
Das
Heilige
. Es muß in uns
wohnen
, wenn es eine
wahre
Religion sein soll. So erst gründet sie in der Erfahrung, nicht bloß in Glaube und Meinung.
Formlos
und
in der schönsten Form
– das ist die andere bedeutsame Unterscheidung. Was die jeweils
schönsten
Formen betrifft, so hat Goethe aus seiner Vorliebe kein Hehl gemacht. Er bewunderte die plastische Darstellung der antiken Götter und Halbgötter, die Tempel und Weihegefäße, die Hymnen und Göttergeschichten. Mit dem antiken Formenreichtum kann es das Christentum nicht aufnehmen. Er schätzte das Bild der Heiligen Familie, weshalb er die »Wanderjahre« damit beginnen läßt. Für Goethe muß sich der geistige Gehalt irgendwie verkörpern lassen, was beim christlich Übersinnlichen bisweilen sehr schwierig ist. Über den Heiligenschein und die Tauben auf den Häuptern der Heiligen und über die Spruchbänder, die auf mittelalterlichen Bildern aus den Mündern der Protagonisten hängen, konnte Goethe derb spotten. Das Kreuz und die Darstellung der gemarterten Leiber waren ihm geradezu verhaßt, und das gemalte Frömmlertum der Nazarener war ihm ärgerlich.
Was aber bedeutet nun die
formlose
Anerkennung des Heiligen? Sie ist dort zu finden, wo es keine spezielle Form der Anerkennung oder gar Anbetung des Heiligen gibt, sondern diese sich in der Art und Weise realisiert, wie den Pflichten und Arbeiten des Alltags Genüge geleistet wird. Das läuft auf eine Heiligung der Lebensarbeit selbst hinaus, wie es in dem Divan-Gedicht »Vermächtnis alt persischen Glaubens« zum Ausdruck kommt.
Und nun sei ein heiliges Vermächtnis / Brüderlichem Wollen und Gedächtnis: /
Schwerer Dienste tägliche Bewahrung, /
Sonst bedarf es keiner Offenbarung.
Die weiteren Strophen schildern die elementaren Tätigkeiten von der Bestattung über die Feldarbeit bis zu Hausbau und Bewässerungsarbeiten. Dies alltägliche Tun und Wirken, wodurch das Leben erhalten und bereichert wird, erscheint als indirekter Gottesdienst. Man tut seine Arbeit, erledigt seine Pflichten, verfolgt seine Zwecke, und wenn man mit Hingabe dabei ist, zeigt sich noch etwas Höheres: der Geist des schaffenden Lebens. So dachte Goethe, und darum hielt er sich auch ans indirekt Heilige.
Das Indirekte. Für Goethe ein zentrales Thema beim Nachdenken über Gott, das Absolute, die Transzendenz. Im Anschluß an seine Beschäftigung mit Plotin und dem Neuplatonismus formulierte Goethe nach 1805 die Grundsätze seiner Theologie und Philosophie des Indirekten, die von da an für ihn maßgeblich blieben.
Goethes Plotin-Kritik, deren grundsätzliche Bedeutung zuerst der Philosoph Hermann Schmitz erkannt hat, 1805 formuliert und erst später veröffentlicht, lautet:
Man kann den Idealisten alter und neuer Zeit nicht verargen, wenn sie so lebhaft auf Beherzigung des Einen dringen woher alles entspringt und worauf alles wieder zurückzuführen wäre. Denn freilich ist das belebende und ordnende Prinzip in der Erscheinung dergestalt bedrängt, daß es sich kaum zu retten weiß. Allein wir verkürzen uns an der andern Seite wieder, wenn wir das Formende und die höhere Form selbst in eine vor unserm äußern und innern Sinn verschwindende Einheit zurückdrängen.
Das
Eine
ist das, was sonst ›Gott‹ oder der alles bestimmende ›Geist‹ genannt wird. Die entscheidende Aussage ist nun, daß dieses
Eine
in der empirischen Wirklichkeit
bedrängt
wird. Mit dieser Formulierung wird das ganze neuzeitliche Drama des Materialismus und Atheismus angedeutet: Geist wird nicht mehr in der Natur gefunden und schließlich auch nicht mehr im Menschen. Dagegen hilft es nicht, den Geist dem
äußern und innern Sinn
zu entrücken, gemeint sind damit die Abstraktionen der Mathematik und das Unanschauliche der metaphysischen Spekulation. Statt also Geist doch wieder in der Wirklichkeit zu fassen, wird er ins Abstrakte und Unanschauliche zurückgedrängt. Dagegen nun erhebt Goethe Einspruch. Der Geist, das ist Goethes Maxime, läßt sich auch in der übrigen Natur ahnen, wenn auch nicht fassen.
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