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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Gott wirkt immer geisterhebend, indem er den Menschen auf die Einheit seines eignen Innern zurückweist.
Das wird im Islam, so Goethe, konsequenter durchgehalten als im Christentum, das mit seiner Dreifaltigkeit Zugeständnisse an die Vielgötterei gemacht habe.
    Für das »Buch Suleika« war ursprünglich das Gedicht
Süßes Kind, die Perlenreihen
vorgesehen, worin aus der Perspektive Hatems die christliche Vielgötterei und das Kreuzeszeichen angeprangert wird. Für christliche Ohren war das provokativ, sogar blasphemisch. Auf den Rat seines katholischen Freundes Boisserée hin sekretierte er das Gedicht. Es erschien dann erst nach seinem Tod. In diesem Gedicht wird das Kreuzeszeichen, das die Geliebte um den Hals trägt, von Hatem als Teufelszeug –
Abraxas –
bezeichnet, und es wird als
Jammerbild am Holze
zur heidnischen Vielgötterei gerechnet, mit welcher der Prophet aufgeräumt habe:
nur durch den Begriff des Einen / Hat er alle Welt bezwungen
. Doch da er verliebt ist, läßt Hatem sich schließlich erweichen und toleriert das Kreuz am Busen der Geliebten. So trägt er die
Renegatenbürde
. Ein Sieg auch des poetischen Geistes, der die dogmatischen Grenzen der Religionen überwindet, jedenfalls im erotischen Einzelfall.
    ›Geist‹ in Goethes Verständnis ist eben nicht moralischer Rigorismus, sondern, wie es in den Noten und Abhandlungen heißt:
Übersicht des Weltwesens, Ironie, freien Gebrauch der Talente
. In einem den »West-östlichen Divan« kommentierenden Brief an Zelter hat Goethe sein Verständnis von ›Geist‹ in abgeklärter Alters-Prosa so formuliert:
Unbedingtes Ergeben in den unergründlichen Willen Gottes, heiterer Überblick des beweglichen, immer kreis- und spiralartig wiederkehrenden Erde-Treibens, Liebe, Neigung zwischen zwei Welten schwebend, alles Reale geläutert, sich symbolisch auflösend. Was will der Großpapa weiter?
    Das
Ergeben
bedeutet nicht Determinismus und Defätismus, sondern Gelassenheit bei allem Tun: das Beste geben, auch wenn man nicht in der Hand hat, was daraus wird. Der
Wille Gottes
meint nicht etwas, das wir begreifen könnten, sondern eben das Unbegreifliche. Was vordergründig als Zufall erscheint, hat doch einen Zusammenhang, den wir allerdings im einzelnen nicht aufhellen können. Goethe neigt dazu, diesen Zusammenhang als eher wohlwollend zu empfinden. Der Ausdruck des
kreis- und spiralartig wiederkehrenden Erde-Treibens
ist keine Formel der Vergeblichkeit, sondern erinnert einerseits an das ebenfalls wiederkehrende
Stirb und Werde
als Grundrhythmus des Lebendigen, andererseits ist darin eine Warnung vor der Überschätzung des Fortschritts enthalten. In seiner Substanz ändert sich der Mensch nicht, auch wenn die Reichweite und Eingriffstiefe seiner technischen und gesellschaftlichen Mittel zunimmt und gewaltige Veränderungen herbeiführt. Aus welchen Quellen kommen die
Heiterkeit
und
Ironie
dieses Überblicks? Sie sind die milde Wirkung eines Geistes, der die Dinge leichter macht, indem er sie transparent werden läßt. Das Empirische wird ernstgenommen, doch indem es auf eine geistige Realität bezogen wird, ist es durchscheinend,
symbolisch
sagt Goethe.
    Was kommt dabei zum Vorschein? Im »West-östlichen Divan« ist es der Geist der Liebe, der alles durchdringt und überall sich blicken läßt, hinreißend dargestellt im letzten Gedicht des »Buch Suleika«:
    In tausend Formen magst du dich verstecken, / Doch, Allerliebste, gleich erkenn’ ich dich, /

...

// An der Zypresse reinstem, jungen Streben, / Allschöngewachsne, gleich erkenn’ ich dich, / In des Kanales reinem Wellenleben, / Allschmeichelhafte, wohl erkenn’ ich dich. //

...

// Wenn am Gebirg der Morgen sich entzündet, / Gleich, Allerheiternde, begrüß’ ich dich, / Dann über mir der Himmel rein sich ründet, / Allherzerweiternde, dann atm’ ich dich. // Was ich mit äußerm Sinn, mit innerm kenne, / Du Allbelehrende, kenn’ ich durch dich. / Und wenn ich Allahs Namenhundert nenne, / Mit jedem klingt ein Name nach für dich.
    Diese lyrische Exaltation bezieht sich auf eine Geliebte und zugleich auf ein kosmisches Prinzip – das ist erotischer Pantheismus in der Gestalt eines poetischen Polytheismus. Fehlt nur noch der Monotheismus in moralischen Fragen, dann wäre der uns inzwischen bekannten Maxime Genüge getan:
Wir sind / Naturforschend Pantheisten, / Dichtend Polytheisten, / Sittlich Monotheisten.
    Für alle drei Zugänge gilt: Sie sind nicht eine Sache des

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