Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
leben lasse.
Dieser Kunst des Hassens ist ein ganzes Buch gewidmet, das »Buch des Unmuts«. Der Unmut bezieht sich vor allem auf den Neid, auf jenes Ressentiment gegen alles, was schöner, gelungener, erhabener, fröhlicher, reicher, glücklicher, tapferer, stärker ist als man selbst. Der Unmut wird geäußert, damit man ihn los wird, und dann unbelästigt von den eigenen schlechten Gefühlen wieder gelassen seines Weges ziehen kann. Doch zuvor, wie gesagt, muß er geäußert werden, zum Beispiel so:
Ärgert’s jemand daß es Gott gefallen / Mahomed zu gönnen Schutz und Glück, / Um den stärksten Balken seiner Hallen / Da befestig’ er den derben Strick, / Knüpfe sich daran! das hält und trägt, / Er wird fühlen daß sein Zorn sich legt.
Der Unmut richtet sich, kurz gesagt, gegen alle Gefühle und Einstellungen, die das Dichten behindern. Der Neid kann nicht dichten, weil zum Dichten Freiheit oder
Freimut,
wie es im »Divan« heißt, gehört.
Freimut
und Neid aber schließen sich aus. Neid ist gedrücktes, Dichten ist gesteigertes Leben. Dichten ist Ausdruck von starken Augenblicken und erfrischt die Lebensgeister, auch im Schmerz und in der Trauer, indem es dem Erhebenden wie dem Bedrückenden Klang und Gestalt gibt. Das Dichten ist wie das Leben, ohne Ziel und Zweck, in sich kreisend:
Dein Lied ist drehend wie das Sterngewölbe, / Anfang und Ende immer fort dasselbe.
Poesie ist Nachahmung dieses in sich kreisenden Lebens, doch eine gesteigerte, weil sie in Schönheit übergeht. Die Schönheit der Poesie hat etwas Triumphierendes, auch wenn sie aus der Verzweiflung und Trauer kommen mag.
Doch ist das Dichten oft dem Hochgefühl, der Ekstase und dem Rausch näher. Ihm wird im »West-östlichen Divan« ein eigenes Buch gewidmet, das »Schenkenbuch«, das die irdische und die spirituelle Trunkenheit feiert, übrigens gegen das Verbot des Propheten. Woraus man ersehen kann, daß für Goethe der Poet, besonders der berauschte, gelegentlich höher steht als der Prophet – im achten Kapitel war davon schon einmal die Rede.
Der Trinkende, wie es auch immer sei, / Blickt Gott frischer ins Angesicht.
Warum
frischer
? Weil der Poet in Gott nicht nur den Gesetzgeber der Moral sieht:
Meinen Wein / Trink’ ich allein, / Niemand setzt mir Schranken, / Ich hab’ so meine eigne Gedanken.
Das alles ist spielerisch gesagt, ironisch und frivol, doch alles Gewichtige, auch das ernste Thema der Religion, der Bedeutung des Koran und des Propheten, wird im »West-östlichen Divan« von Poesie angesteckt.
Wie ernst ist es dem Dichter also mit der Religion, insbesondere mit dem Islam? Der Dichter, heißt es in der Ankündigung,
lehnt den Verdacht nicht ab, daß er selbst ein Muselmann sei.
Kokettiert er?
Prophete rechts, Prophete links, / Das Weltkind in der Mitten
hatte der junge Goethe einst gedichtet.
Weltkind
ist er immer noch, auch im »Divan«. Nur kommt hier und in den Noten und Abhandlungen zur Sprache, welche Aspekte der westlichen und östlichen Religiosität ihm nahe sind. Es sind, um es kurz zu sagen, nicht jene Inhalte, die offenbart und geglaubt werden müssen, sondern jene, die sich an die eigene unmittelbare Erfahrung anschließen. Zwei Jahre vor der Arbeit am »Divan« hatte Goethe im vierten Buch von »Dichtung und Wahrheit« mit Bezug auf seine Kindheit – im dritten Kapitel war davon schon die Rede – jene unmittelbare Erfahrung so formuliert:
Die allgemeine, die natürliche Religion bedarf eigentlich keines Glaubens: denn die Überzeugung, daß ein großes, hervorbringendes, ordnendes und leitendes Wesen
sich gleichsam hinter der Natur verberge, um sich uns faßlich zu machen, eine solche Überzeugung dringt sich einem jeden auf.
Das ist eine Überzeugung im Hintergrund, an die der Zweifel nicht heranreicht. Diese Überzeugung ist unbestimmt genug, um von Zweifel nicht berührt zu werden. Anders verhält es sich mit den sogenannten Offenbarungen. Sie findet man nicht in der eigenen Erfahrung, man kann sie nur glauben oder auch nicht. Das betrifft solch aparte Geschehnisse wie Jesu Kreuzestod, seine Auferstehung oder daß er übers Wasser gegangen ist und Tote zum Leben erweckte. Der Glaube an solche seligmachenden Vorkommnisse bedarf der ständigen Abwehr von Zweifeln und von Zweiflern, erforderlich ist eine homogene Gruppe von Mitgläubigen, die sich wechselseitig bestärken und dadurch gegen Zweifel immunisieren. Da Nichtgläubige oder Zweifler durch ihre schiere Existenz den Gläubigen anfechten,
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