Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
man sich anstellt, um geduldet zu werden.
Mignon und Konsorten würden hier gewiß nicht geduldet werden. Die Herrschaft soll ambulant ausgeübt werden, die Regierenden reisen umher. Für die einen ist die Obrigkeit dann mal weg, den anderen rückt sie auf den Leib; auf diese Weise kommt jeder abwechselnd in den Genuß von Liberalität und Strenge. So ist auch für
Gleichheit
gesorgt
.
Bei der Frage von Demokratie und Mehrheitsprinzip hält man sich bedeckt:
Wegen der Majorität haben wir ganz eigne Gedanken; wir lassen sie freilich gelten im notwendigen Weltlauf, im höhern Sinne haben wir aber nicht viel Zutrauen auf sie. Doch darüber darf ich mich nicht weiter auslassen.
Um so ausführlicher werden manche andere Disziplinierungsprojekte behandelt. Branntweinschenken und Leihbibliotheken müssen verschwinden: Der Konsum von Alkohol und Romanen soll eingeschränkt werden. Ein Roman wie die »Wanderjahre« allerdings, könnte man vermuten, würde bei diesen Nüchternheitsaposteln keinen Anstoß erregen.
Nun ist die Welt des Romans nicht nur von
Entsagenden
bevölkert und von solchen, die nichts zum Entsagen haben. Da gibt es Felix, den Sohn Wilhelms, der frische Lebenskraft und Lebenslust verkörpert, der sich verliebt und die dazugehörigen Tollheiten durchlebt und durchleidet. In den Novellen geht es sowieso munterer zu. Dort wird das für Goethe naheliegende Problem der Liebe eines älteren Mannes zu einer jüngeren Frau behandelt, zweimal sogar in der ziemlich pikanten Konstellation, daß Vater und Sohn um dieselbe Frau konkurrieren. Es sei hier, ohne sonderliches Aufhebens davon zu machen, daran erinnert, daß Goethe 1816 die Verbindung seines Sohnes mit Ottilie von Pogwisch heftig forcierte, um diese anziehende und kluge junge Frau in seiner Nähe zu haben. Auf die Heiratspläne Bezug nehmend schrieb Ottilie einmal an ihre Mutter. »Goethe ängstigt mich; – und fragt öfters als je, was wird daraus werden?« Als Ottilie August schließlich heiratet, ohne ihn zu lieben, geschah es auch nur darum, weil sie den Vater schwärmerisch verehrte und ein Leben in seiner Nähe führen wollte. Die Briefe, die sie mit August wechselte, sind nüchtern und sachlich, sie sind Prosa; die an den Schwiegervater gerichteten sind Poesie. Die Geschichte um Ottilie jedenfalls hätte ganz gut in den Novellenkranz der »Wanderjahre« gepaßt.
Und da gibt es als Figur, welche die ganze Romanwelt samt Novellenkranz transzendiert – Makarie, ein Zentralgestirn, das in der ersten Fassung des Romans noch nicht aufgegangen ist. Goethe erfand sie, um ein Gegengewicht zu schaffen und zu verhindern, daß der Roman allzu sehr vom Geist der Tüchtigkeit beherrscht würde und
die
Sehnsucht verschwindet im Tun und Wirken.
Makarie ist die Fortsetzung der schönen Seele aus den »Lehrjahren« mit geistig gesteigerten Mitteln. Montan auf der einen Seite und Makarie auf der anderen. Den einen zieht es zu den Steinen, die andere zu den Gestirnen, den einen hinunter
bis zum Mittelpunkt der Erde
, die andere hinauf,
über die Grenze unseres Sonnensystems hinaus.
Montan will den poetischen Gedankenflug, die philosophische Spekulation hinunterziehen und erden, deshalb sein Beharren auf Brauchbarkeit und Nutzen. Er ist ein Feind des Abgehobenen, und da er sich etwas verbietet, ist er von Ressentiment erfüllt gegen die, welche sich etwas erlauben. Ganz das Gegenteil ist Makarie. Sie lebt in der Schau der kosmischen Zusammenhänge. Ihr Körper aber befindet sich bereits in
krankem Verfall
. Doch ist sie rätselhaft heiter und steckt jeden Besucher mit dieser Heiterkeit an. Bei der Begegnung mit ihr wird es einem wundersam leicht und hell. Der Erzähler hebt mit ironischem Augenzwinkern den märchenhaften Aspekt hervor, daß die Türen zu ihr sich automatisch öffnen. Ihr Wesen überhaupt ist geöffnet, wie das des Montan verschlossen ist. Makarie durchdringt alles, und alles durchdringt sie. Sie ist ganz Transparenz und Durchlässigkeit. Sie ist innerlich gesammelt, ohne kernhaft fest und starr zu sein. In ihrem
Archiv
hat Goethe einige seiner besonders geistvollen Maximen und Reflexionen verwahrt, eben auch die bereits ausführlich zitierten über Plotin und die
Bedrängnis
der belebenden Prinzipien. Über solche Bedrängnis ist Makarie nun wirklich hinaus. Doch gerade darum erscheint sie als nicht ganz wirklich. Sie lebt und webt in den höheren Ordnungen des Seins, dem regelmäßigen Gang der Gestirne, dem Spiel von Anziehen und Abstoßen, dem
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