Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
sie den Künsten des Doktor Metz, ein Herrnhuter strenger Observanz, ein
unerklärlicher, schlaublickender, freundlich sprechender, übrigens abstruser Mann
. Etwas Geheimnisvolles umgab ihn und er stand im Rufe, über fast zauberische Mittel zu verfügen. Ein frommer Mann, der im Grenzbereich zwischen Naturwissenschaft und Magie experimentierte.
Als Goethe Anfang 1769 an einer beängstigend anwachsenden tuberkulösen Geschwulst am Halse litt, rückte Metz nachts mit seinem Wundermittel an, ein Gläschen kristallisierten trockenen Salzes, das alkalisch schmeckte und sofort half. Die Geschwulst bildete sich zurück, und der dankbare Patient vertiefte sich in die
mystisch chemisch-alchemischen Bücher
, die ihm der Arzt mit dem aufmunternden Hinweis empfohlen hatte, daß man durch eigenes Studium lernen könnte, sich selbst jenes heilende
Kleinod
zu bereiten. Der junge Mann studierte also fleißig die empfohlenen Werke, die ihm nicht nur chemische Kenntnisse vermittelten, sondern ihn auch bekannt machten mit einem schon damals fast verschollenen Universum apokrypher Gelehrsamkeit, mit neuplatonischem und kabbalistischem Gedankengut, alchemistischen und magischen Rezepten sowie naturphilosophischen Spekulationen über die Entstehung der Welt aus Materie und Licht, über Lebenskeime und ihre Zubereitung. Hier fand er Anregungen, die ihm ein Leben lang wichtig blieben. Bei den Autoren, die er nun erstmals studierte, etwa bei Welling, Paracelsus, Basilius Valentinus, Athanasius Kircher, Helmont und Starkey, fand er
die Natur, wenn auch vielleicht auf phantastische Weise, in einer schönen Verknüpfung dargestellt.
Die theoretische Neugier wurde angesprochen über den unmittelbaren Heilzweck hinaus. Auch die phantastischen Träume des Goldmachens wirkten anziehend. Das alles wird wenig später einfließen in die ersten Entwürfe zum »Faust«.
Während er mit der Klettenberg erbauliche Gespräche führte, half ihm Metz bei der Einrichtung eines kleinen Labors zur Herstellung wunderbarer und wunderlicher Essenzen. Doch auch das fromme Fräulein besaß einen Windofen, Kolben und Retorten sowie einen kleinen Vorrat angeblich wirkungsvoller mineralischer Substanzen. Und so verwandelte sich Goethes Krankenstube in ein Labor. Es ging dort
sehr vergnügt zu, indem wir
〈...〉
uns an diesen Geheimnissen mehr ergetzten, als die Offenbarung derselben hätte tun können
.
Die chemischen Offenbarungen ließen denn auch auf sich warten. Man erhitzte die weißen Kiesel aus dem Main, in der Hoffnung, daß der Kieselsaft in Verbindung mit bestimmten Salzen zu einer seltenen Substanz würde, nämlich dem gesuchten mysteriösen Übergang vom Mineralischen ins Organische. Doch der Kieselstaub wurde wieder ausgefällt und es wollte sich nichts
Produktives
zeigen,
woran man hätte hoffen können diese jungfräuliche Erde in den Mutterstand übergehen zu sehen.
Das aber hatte man sich ja erhofft, die chemische Zubereitung jener Kraft nämlich, die später im »Faust« ›Erdgeist‹ genannt wird.
Der Kranke war, trotz mancher Enttäuschung, recht guter Dinge bei seinem Versuch mit der Frömmigkeit ebenso wie bei den chemisch-alchemistischen Praktiken. Es erschlossen sich ihm neue Welten, die Frömmigkeit einer schönen Seele und eine mystisch angehauchte Naturkunde.
Der Naturkunde hielt Goethe die Treue, was aber die Frömmigkeit, das innige Verhältnis zur christlichen Religion betrifft, so blieb es bei diesem Versuch im Jahre 1769.
Anmerkungen
Viertes Kapitel
Frömmigkeit und Kätchen verblassen. Straßburg. Hochgefühl.
Der Geist des Ortes. Das Münster als Mutprobe. »Von deutscher
Baukunst«. Salzmann. Lersé. Die nachhaltige Begegnung mit Herder.
Die neuen Werte: Leben, Schöpferkraft, Individualität, Ausdruck.
Mit Herder Karten spielen.
Im September 1769 besuchte Goethe eine Synode der Herrnhuter Brüdergemeine im benachbarten Marienborn. Das Treffen verlief für ihn enttäuschend. Der Sektengeist der ›Stillen im Lande‹ stößt ihn ab. Ärgerlich sei ihm, wird er noch ein Jahr später an die Klettenberg schreiben, wenn jemand
die
Sache seiner Grillen und die Sache Gottes
vermische. Er merkt, daß er nicht dazugehört und auch nicht dazugehören will. Diese frommen Leute seien
so von Herzen langweilig,
daß es seine
Lebhaftigkeit nicht aushalten
könne, gesteht er seiner geistlichen Mentorin. Außerdem fehlte ihm, wie schon gesagt, das Sündenbewußtsein, und darum richtet er die Innigkeit seiner Empfindungen wieder
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