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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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das Kandidaten-Examen, die erste erfolgreich absolvierte akademische Prüfung. Er war nun Rechtskandidat und von den juristischen Vorlesungen befreit. Der nächste Schritt war die Abfassung einer Dissertation. Dafür ließ er sich wieder Zeit. Es gab Wichtigeres, das er unternehmen wollte, und Bedeutsameres, das nun auf ihn einstürmte.
    Die Stadt selbst beeindruckte ihn zunächst nicht sonderlich. Sie war etwa so groß wie Frankfurt, ähnlich altertümlich und verwinkelt, ganz anders als Leipzig mit seinen erst jüngst erbauten prachtvollen Stadtvierteln. Seit fast einem Jahrhundert gehörte Straßburg zu Frankreich. Goethe wurde das sogleich bei der Ankunft bewußt, als er erlebte, wie Marie Antoinette, die als Braut des Königs mit ihrer Entourage auf dem Weg nach Paris war, hier empfangen wurde. Es war ein Volksfest, man hatte Zelte an den Rheinwiesen aufgestellt mit Schaustücken, darunter eine Kopie von Raffaels »Schule von Athen« aus der Sixtinischen Kapelle.
Es läßt sich gar nichts darüber sagen,
schreibt er an Langer,
aber das weiß ich, daß ich von dem Augenblicke an, da ich sie zum ersten sah, eine neue Epoque meiner Kenntnisse rechnen werde. Es ist ein Abgrund von Kunst so ein Stück
. Die festliche Stimmung, der Trubel, das Gewoge der Menschenmenge in den Gassen und auf den Plätzen, die Fahnen und die bunten Tücher an den Fenstern – all das erinnerte ihn an die Kaiserkrönung, die Goethe einige Jahre zuvor in Frankfurt erlebt hatte, doch hier war es nicht eine sentimentale Reminiszenz, sondern glanzvolle Selbstdarstellung der französischen Monarchie, einer höchst gegenwärtigen Macht. Ungetrübt war das Vergnügen nicht.
Weggerissen und in einem Kreis von Lust und Unsinn herum gedreht,
so fühlt Goethe sich. Mühsam mußte er sich wieder zu sich selbst zurückbringen.
Erst ietzo fang ich wieder an zu denken daß auch
ich bin. Der Macht gegenüber ist es so wie in der Liebe. Man wird verzaubert und verliert seinen Kopf und weiß nicht mehr, wer man ist:
wenn wir gerührt sind, ist unser Stolz unwirksam, das wissen unsere Fürsten und unsere Mädgen, und machen mit uns was sie wollen.
    Die Offiziere der hier stationierten Truppen sind Franzosen, ebenso die höheren königlichen Beamten. Die große Mehrheit der Bevölkerung aber spricht deutsch, wenn man auch ihre Mundart schlecht versteht. Das »jämmerlichste Deutsch, das man hören kann, in der allergröbsten, widerlichsten, abscheulichsten Aussprache«, urteilt der Schriftsteller Friedrich Christian Laukhard, der wenige Jahre nach Goethe in Straßburg weilt. Goethe gefällt der Dialekt, bei Friederike Brion wird er ihn natürlich
allerliebst
finden. Es wimmelt in der Stadt von Gästen und Durchreisenden. Wer vom südlichen und mittleren Deutschland nach Paris wollte, machte hier Station, um an der Grenze zwischen zwei Kulturkreisen sich entweder auf die französische oder die deutsche Art einzustimmen. Auch Goethe stand der Sinn nach Paris, auch für ihn war Straßburg ein Übergang. Doch es dauerte nicht lange, bis er die Stadt und ihre fröhliche und ungezwungene Lebensart schätzen lernte. Weil überall getanzt wurde, auf den Plätzen, in den Gasthäusern und in den Gärten der Ausflugslokale, nahm er Tanzunterricht. Auch das Reiten hat es ihm angetan. Er hat das Geld, um sich ein Pferd zu mieten, mit dem er die Umgebung durchstreift. Dies Pferd wird ihn später auch zur Geliebten tragen.
    In der Stadt führte ihn sein erster Gang zum Münster. Es galt schon damals als Sehenswürdigkeit. Ihn aber hatte zunächst nur der hohe Turm zur Mutprobe herausgefordert. Er stieg die 330 Stufen empor, um oben über seine Schwindelgefühle zu triumphieren, ebenso wie er abends beim Zapfenstreich die Nähe der Trommeln suchte, gegen seine Geräuschempfindlichkeit.
Ich erstieg ganz allein den höchsten Gipfel des Münsterturms, und saß in dem sogenannten Hals, unter dem Knopf oder der Krone, wie man’s nennt, wohl eine Viertelstunde lang, bis ich es wagte, wieder heraus in die freie Luft zu treten, wo man auf einer Platte, die kaum eine Elle ins Gevierte haben wird, ohne sich sonderlich anhalten zu können, stehend das unendliche Land vor sich sieht, indessen die nächsten Umgebungen und Zieraten die Kirche und alles, worauf und worüber man steht, verbergen. Es ist völlig, als wenn man sich auf einer Mongolfiere in die Luft erhoben sähe. Dergleichen Angst und Qual wiederholte ich so oft, bis der Eindruck mir ganz gleichgültig ward.
    Körperliche

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