Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
stärker auf die weltlichen Dinge, sogar aus den Briefen an den frommen Langer verschwindet das Thema der Jesus-Nachfolge.
Aber auch Kätchen Schönkopf beginnt aus Goethes Leben zu verschwinden. Er habe diese Nacht von ihr geträumt und schreibe ihr nur deshalb noch einmal, heißt es in einem Brief, und er bittet sie, ihm nun nicht mehr zu antworten. Er erinnere sich nur noch schwach an sie,
mit so wenig Empfindung, als wenn ich an jemand fremdes gedächte
. Das Verblassen der Erinnerung hängt wohl auch damit zusammen, daß Kätchen sich inzwischen verlobt hat mit dem Juristen Christian Karl Kanne, den Goethe selbst einst bei Schönkopfs eingeführt hatte. In diesem Brief von Ende 1769 deutet er einen baldigen Ortswechsel an.
Einen Monat später war die Entscheidung für Straßburg gefallen. Der Vater wünschte es, hatte er doch dort einige Zeit an der Universität verbracht. Entgegen seiner Absicht, nicht mehr an Kätchen zu schreiben, teilte Goethe ihr sogleich diese Entscheidung mit. Er werde nicht nur nach Straßburg gehen, sondern anschließend weiterziehen in die große Welt, nach Paris. Und sollte er dann eine Frau finden und heiraten, so würde er seinen Hausstand bei den Eltern begründen,
ich kriege 10 Zimmer alle schön und wohl möbliert im Frankfurter Gusto
〈...〉
Ich habe ein Haus, ich habe Geld. Herz was begehrst du? Eine Frau!
Beschwingt und gesundheitlich einigermaßen hergestellt traf Goethe Anfang April 1770 in Straßburg ein und nahm Wohnung zuerst im Gasthof ›Zum Geist‹ und dann am Alten Fischmarkt. Der herrnhuterische Hausfreund der Mutter, Rat Moritz, hatte ihm ein Andachtsbuch mitgegeben. Goethe schlug es am Tag seiner Ankunft auf und fand dort einen Bibelvers, der ihn so ansprach, daß er ihn sogleich der Mutter mitteilte, die sich noch dreißig Jahre später daran erinnern wird: »Mache den Raum deiner Hütte weit und breite aus die Teppiche deiner Wohnung! Spare sein nicht! Dehne deine Seile lang und stecke deine Nägel fest! Denn du wirst ausbrechen zur Rechten und zur Linken!«
Goethe deutet sich diese Worte als Bestätigung seines Vorgefühls von Kraft und Gelingen. Auch er wird ausbrechen, überfließen, denkt er. Er fühlt sich raumgreifend. Ein anderes Gefühl als damals in Leipzig, wo er anfangs ziemlich eingeschüchtert war. Einem bettelarmen Studienfreund aus Leipzig, dem von vielem Lesen halb erblindeten Theologen Johann Christian Limprecht, schickt er einen Louisd’or mit der Bemerkung, er habe gegenwärtig
Munterkeit im Überfluß
. Er möchte davon etwas verschenken.
In solcher Stimmung gelingen ihm in den Briefen Sätze, die auf den Werther-Stil vorausweisen, weit ausgreifende Perioden, die einzufangen versuchen, was einen umfängt. Einer Freundin der Schwester, Katharina Fabricius, schildert er die Eindrücke bei einer Wanderung in der Umgebung:
Wie ich so rechter Hand über die grüne Tiefe hinaussah und der Fluß in der Dämmerung so graulich und still floß, und linker Hand die schwere Finsternis des Buchenwaldes vom Berg über mich herabhing, wie um die dunkeln Felsen durchs Gebüsch die leuchtenden Vögelchen still und geheimnisvoll zogen; da wurd’s in meinem Herzen so still.
Im »Werther« heißt es dann:
Wenn das liebe Tal um mich dampft
〈...〉
Wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen
〈...〉
näher an meinem Herzen fühle
〈...〉
wenn’s denn um meine Augen dämmert, und die Welt um mich her und Himmel ganz in meiner Seele ruht.
Anders als Werther ist der Briefschreiber gegenwärtig noch nicht verliebt. Das Herz ist
still
, schreibt er, weil es noch frei ist:
Welch Glück ist’s, ein leichtes, ein freies Herz zu haben!
Hat man sich aber verliebt, ist man mit
Blumenketten
gefesselt, und aus Furcht, sie zu zerreißen, wagt man keine Bewegung. Er vergleicht die Liebe mit einem Schaukelpferd,
immer in Bewegung, immer in Arbeit, und nimmer vom Fleck
. Doch er will vorankommen. Zunächst einmal bei der Juristerei.
Leipzig hatte er ohne Abschluß verlassen. In Straßburg sollte das Versäumte nachgeholt werden, Examen und Promotion. Er besuchte Repetitorien, wo der Prüfungsstoff eingepaukt wurde. Das bereitete ihm wenig Mühe, zumal er manches davon schon als Knabe mit dem Vater eingeübt hatte. An Langer:
Was ich studiere? Zuvörderst die Distinktionen und Subtilitäten, wodurch man Recht und Unrecht einander ziemlich ähnlich gemacht hat. Das heißt ich studiere
auf einen Doktor
beider Rechten.
Am 27. September 1770 bestand Goethe
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